ODER~SO

Anlassbezogenes Sonderuntersuchungsprogramm zur Umweltkatastrophe in der Oder vom August 2022

© Martin Pusch

Dokumentation der Schäden und der Regeneration der Wasserorganismen sowie Vorsorgeforschung in Bezug auf mögliche weitere Toxinwellen und zu Resilienz, Ökosystemfunktionen, Ökosystemleistungen und Entwicklungsszenarien der Oder und ihrer Auen

Das multidisziplinäre Projekt überwacht und analysiert die Algen- und Schadstoffbelastung, dokumentiert den Zustand und die Erholung der Populationen verschiedener Organismengruppen, führt Vorsorgestudien zu möglichen zukünftigen Vergiftungsereignissen durch und untersucht die ökologische Rolle der Auen in verschiedenen Entwicklungsszenarien. Das übergeordnete Ziel von ODER~SO ist es, eine breite Wissensbasis für ein integratives Management gekoppelter Fluss-Auen-Ökosysteme zu schaffen, wodurch präzisere Analysen und Prognosen zum Gewässerzustand ermöglicht werden, die als Grundlage für vorbeugende Maßnahmen gegen die Auswirkungen von Algenblüten dienen können.

Hintergrund

Während der Umweltkatastrophe in der Oder in den ersten drei Wochen des Augusts 2022 sind auf einer Strecke von mehr als 300 km Flusslauf der Oder geschätzte 1000 t Fisch verendet. Erheblich betroffen waren außerdem die Populationen von Muscheln, Wasserschnecken und vermutlich weiteren wasserlebenden Organismengruppen. Hiervon war auch die Grenzoder betroffen, also der Flussabschnitt, der die Grenze zwischen Deutschland und Polen bildet.

Als Ursache der Katastrophe wurde der künstlich stark erhöhte Salzgehalt der Oder erkannt, der eine Massenentwicklung der toxischen Brackwasseralge Prymnesium parvum ermöglichte, deren Giftstoff Prymnesin das Absterben der Wassertiere verursachte. Der Umfang aller Schäden am Ökosystem der Oder konnte bislang nicht quantitativ abgeschätzt werden. Auch die Faktoren, die das Überleben eines Teils der betroffenen Fauna ermöglicht haben, sind noch weithin unbekannt.

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) hat daher das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) mit einem Sonderuntersuchungsprogramm beauftragt. In diesem sollen die ökologischen Schäden umfassend dokumentiert, der chemische und ökologische Zustand der Grenzoder engmaschig überwacht sowie die Randbedingungen und Wirkmechanismen der Bildung der Algengifte weiter aufgeklärt werden, und damit bei der Entwicklungen eines Frühwarnsystems beizutragen. Ferner soll das Vorhaben die Regeneration des Flussökosystems dokumentieren, um Vorsorge- und Sanierungsmaßnahmen abzuleiten, die die Widerstandskraft (Resilienz) und die Ökosystemleistungen des gesamten Fluss-Auen-Verbundökosystems erhöhen können. Die Arbeiten zielen somit auch darauf ab, durch Vorsorgeforschung die Risiken der Wiederholung einer solcher Umweltkatastrophe zu verringern und Handlungsempfehlungen für eine nachhaltigere Bewirtschaftung der Oder und ihrer Auen aufzuzeigen.

Projektziele und Methodik

Im Projekt werden der Ablauf der Umweltkatastrophe, aktueller Zustand und Zukunftsaspekte multidisziplinär untersucht: Es sind Wissenschaftler*innen der Fachgebiete Hydrologie, Wasserchemie, Fernerkundung, Zoologie, Botanik, Mikrobiologie, Toxikologie Umwelt-DNA, Auenökologie, Ökosystemleistungen und Umweltökonomie beteiligt. Dabei werden die bestmöglichen verfügbaren Methoden eingesetzt, wie etwa die Erfassung des gesamten Artenbestands wasserlebender Organismen in der Oder mittels Analyse der im Oderwasser enthaltenen Umwelt-DNA, die Erfassung von Algen-Massenentwicklungen über Satellitenbilder oder die Quantifizierung der Ökosystemleistungen der Oder-Auen. Die Arbeiten erfolgen in enger Abstimmung mit den zuständigen Bundes- und Landesbehörden.

Entsprechend dem mehrschichtigen funktionalen Hintergrund der Umweltkatastrophe verfolgt das Vorhaben folgende Ziele:

  • Überwachung und Analyse der Algen- und Schadstofffrachten
  • Dokumentation der verbliebenen Populationen wichtiger aquatischer Organismengruppen
  • Dokumentation der Regeneration der Populationen wichtiger aquatischer Organismengruppen
  • Toxin- Vorsorgestudien in Bezug auf mögliche weitere Prymnesin-Vergiftungen und Entwicklung eines Frühwarnsystems
  • Darstellung der Resilienz und Refugialfunktion sowie Ökosystemleistungen der Auen in drei Entwicklungsszenarien.

Die Projektziele werden durch 13 Teilprojekte (TP) erarbeitet, die vielfältige Feld- und Laboruntersuchungen durchführen und eng miteinander verzahnt sind:

  1. Koordination von Probenahmen, Daten und Kommunikation
  2. Datenportal zur Nutzung für räumlich-zeitliche Datenstrukturen
  3. Monitoring und Risikoabschätzung von Wasserqualität und Phytoplankton
  4. Datensynthese von Monitoring- und Frühwarnsystem sowie Satellitendaten
  5. Genomisches Prymnesium-Monitoring u.a. für besseres transkriptombasiertes Verständnis des Prymnesium-Wachstums und der Toxinproduktion
  6. Entwicklungsstudien zu Prymnesium u.a. zur Feststellung der Bedingungen von Massenentwicklungen von Prymnesium und seiner Toxine
  7. Toxizität Prymnesium u.a. auf frühe Lebensstadien von Fischen inkl. des Störes, Muscheln und Zooplankton
  8. Messung der Zooplankton- und Muschelfiltration zur Darstellung der biologischen Kontrollmechanismen von Algenmassenentwicklungen
  9. TeDNA-basiertes multitrophisches Monitoring von Wasserorganismen mit Schwerpunkt auf Prymnesin-vulnerable Organismen
  10. Quantifizierung der Erholung der Makrozoobenthos- Besiedlung in der Flussmitte und in den watbaren Uferzonen (Buhnenfeldern) sowie angrenzenden Auengewässern
  11. Ermittlung des Bestandsrückgangs und der erwarteten Bestandserholung der Fische sowie Untersuchung der Refugialfunktion von Auengewässern für Fische
  12. Biozönotische Auenbewertung und Insektenemergenz in Auengewässern;
  13. Darstellung von Entwicklungsszenarien der Oder und ihrer Auen.

Die Projektergebnisse dienen der Vertiefung der bisher lückenhaften Kenntnisse über die funktionalen Zusammenhänge, die während der Umweltkatastrophe wirksam waren. Sie ermöglichen darüber hinaus, die sehr hohen ökologischen und wirtschaftlichen Schäden erstmals umfassend zu beschreiben und Handlungsempfehlungen abzuleiten, mit denen sich das Risiko vergleichbarer Schäden oder einer weiteren Verschlechterung verringern lässt. Es wird erwartet, dass die Projektergebnisse den zuständigen Gebietskörperschaften, Behörden, Gremien und Unternehmen – einschließlich des Nationalparks Unteres Odertal – wichtige Impulse für die Umweltbeobachtung sowie das wasserwirtschaftliche und naturschutzfachliche Management der Oder und ihrer Auen liefern. Damit unterstützt das Projekt auch wesentlich die Anstrengungen der Bundes- und Landesbehörden, die gesetzlichen Ziele der Wasserwirtschaft und des Naturschutzes schneller und besser zu erreichen.

Auf wissenschaftlichem Gebiet ermöglicht das Projekt eine erhebliche Verbesserung des Wissensstands zur Oder, die über mehrere Jahrzehnte hinweg nicht Gegenstand solch intensiver Untersuchungen gewesen ist. Das Projekt wird dadurch auch zu einem verbesserten Kenntnisstand der interessierten Öffentlichkeit und regionaler Akteure über das Ökosystem der oder und ihrer Auen beitragen, die somit in die Lage versetzt werden, im Fall solcher Katastrophen zielorientierter zu handeln und umweltschonende, nachhaltige Entwicklungen in der Region zu unterstützen.

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Projektteam am IGB

Martin Pusch

Programmbereichssprecher*in
Forschungsgruppe
Funktionelle Ökologie und Management von Flüssen und Seeufern

Sonja Jähnig

Abteilungsleiter*in
Forschungsgruppe
Aquatische Ökogeographie

Christian Wolter

Forschungsgruppenleiter*in
Forschungsgruppe
Fließgewässerrevitalisierung

Thomas Mehner

Vize-Direktor
Forschungsgruppe
Nahrungsnetze und Fischgemeinschaften

Stephanie Spahr

Programmbereichssprecher*in
Forschungsgruppe
Organische Schadstoffe

Tobias Goldhammer

Programmbereichssprecher*in
Forschungsgruppe
Nährstoffkreisläufe und chemische Analytik

Matthias Stöck

Forschungsgruppenleiter*in
Forschungsgruppe
Genetik und Evolution von Fischen (und anderen Wirbeltieren)

Jan Köhler

Forschungsgruppenleiter*in
Forschungsgruppe
Photosynthese und Wachstum von Algen und Makrophyten

Jörn Gessner

Forschungsgruppenleiter*in
Forschungsgruppe
Wiedereinbürgerung atlantischer Störe in Deutschland

Stella A. Berger

Forschungsgruppenleiter*in
Forschungsgruppe
Phytoplanktonökologie

Sven Würtz

Forschungsgruppenleiter*in
Forschungsgruppe
Molekulare Fischphysiologie

Mark Gessner

Abteilungsleiter*in
Forschungsgruppe
Ökosystemprozesse

Markus Venohr

Programmbereichssprecher*in
Forschungsgruppe
Flussgebietsmodellierung
Finanzierung

Gefördert als Modellvorhaben im Bundesnaturschutzfonds des BMUV

Bundesamt für Naturschutz (BfN)