Fokus
Angelina Tittmann

Sauerstoffarmut im Wasser hat weitreichende Folgen – über die Seen hinaus

Außer Atem
Sauerstoff ist unabdingbar für die meisten Lebewesen in Gewässern. Auch chemische und biologische Prozesse, wie die Fähigkeit zur Selbstreinigung, hängen davon ab. Umweltveränderungen und höhere Wassertemperaturen verändern jedoch den Sauerstoffgehalt von Seen, Tümpeln und Teichen. So nehmen die Sauerstoffkonzentrationen in den tiefen Schichten von Seen weltweit ab. Zudem kann Sauerstoffarmut zu einer vermehrten Freisetzung von Treibhausgasen führen. IGB-Forschende untersuchen das Ausmaß
und die Folgen. Dabei hinterfragen sie auch so manchen Lehrsatz über die Gesetzmäßigkeiten der Seen-Ökologie.

In den Tiefen von Seen weltweit wird der Sauerstoff zunehmend knapp. Das hat weitreichende Auswirkungen, auch auf verschiedene Stoffwechselprozesse am Gewässergrund. | Foto: Solvin Zankl

Einsame Landschaften, Sonnenschein um Mitternacht, rationiertes Trinkwasser, eine Schotterpiste als Highway: Robert Schwefel erinnert sich noch gut an seine Forschungsreise nach Alaska vor einigen Jahren. Der Physiker beschäftigt sich mit dem Sauerstoffmangel unter Eis und untersuchte in einem Kooperationsprojekt mit der Universität Santa Barbara, Kalifornien, vier Seen im Norden Alaskas, die im Winter eisbedeckt sind. „Wir wollten wissen, wie sich der Sauerstoffgehalt der Seen unter Eis verändert. Unsere Ergebnisse zeigen, dass auch eisbedeckte Seen dynamische Systeme sind“, berichtet der Forscher. Die Erklärung: Das durch das Eis eindringende Sonnenlicht und die im Sediment gespeicherte Wärme halten die Wasserzirkulation in Gang. Und diese physikalischen Prozesse bestimmen den Sauerstoffhaushalt entscheidend mit.

Überraschend war die zweite wichtige Erkenntnis der Studie: Die Sauerstoffzehrung nimmt im Laufe des Winters stark ab. „In den ersten 30 Tagen ist sie sehr ausgeprägt, danach geht sie deutlich zurück“, sagt Robert Schwefel. Auch das liegt vor allem an der im Sediment gespeicherten Wärme: Sie geht ins Wasser über und treibt damit Austauschprozesse im Tiefenwasser an, wo Bakterien Sauerstoff verbrauchen. Mit der Zeit flachen diese Austauschprozesse ab.

Keine Hinweise auf eine geringere Treibhausgasproduktion bei weniger Eis

Die Ergebnisse legen nahe, dass der Hauptteil der Sauerstoffzehrung zu Beginn der Eisbedeckung stattfindet. Eine kürzere Dauer ist also kaum relevant, weil die Zehrungsprozesse bereits stattgefunden haben. „Wir hatten vermutet, dass die Sauerstoffkonzentration am Ende des Winters mit kürzerer Eisbedeckung stark zunimmt, konnten aber keine Belege für diesen Effekt finden“, sagt Robert Schwefel. Da bei niedrigen Sauerstoffkonzentrationen Treibhausgase wie Methan oder Kohlendioxid akkumulieren, können arktische Seen in größerem Ausmaß als bisher angenommen zum Ausstoß von Treibhausgasen und damit zur Erderwärmung beitragen.

Auch in unseren Breiten sind Seen einem Wandel unterworfen, der ihrem Sauerstoffhaushalt zusetzt. „Im Stechlin hat sich in den letzten Jahren die Schichtungsdauer dramatisch verlängert, das heißt, die sauerstoffreiche obere und die eher sauerstoffarme untere Schicht des Sees mischen sich seltener und kürzer“, sagt Hans-Peter Grossart. Die Durchmischungszeiten im Herbst und im Frühjahr haben sich um mindestens einen Monat verkürzt. Fällt die Durchmischung im Herbst aus, kommt es erst im Frühjahr kurz vor der neuen Schichtung wieder zu einer vollständigen Durchmischung. Der See ist dann länger geschichtet. In der Folge nimmt die Konzentration des gelösten Sauerstoffs (DO) im Tiefenwasser ab bzw. die Sauerstoffarmut zu. Bei Werten unter 3 Milligramm Sauerstoff pro Liter (mg/l) spricht man von Hypoxie, dann wird es für Fische kritisch. Bei Sauerstofffreiheit spricht man von Anoxie.

Nährstoffe sind ein zentrales Puzzleteil

Anoxie im Tiefenwasser in einem Sommer kann sogar schwerwiegende Anoxien in den folgenden Sommern hervorrufen. Ein Team um Hans-Peter Grossart hat Daten aus 656 Seen analysiert, um die Mechanismen aufzuzeigen, die dafür gleichzeitig vorliegen müssen. Ein zentrales Puzzleteil sind die Nährstoffeinträge. Sie fördern das Wachstum von Algen und Bakterien: Abgestorbenes Material sinkt ab und wird von Bakterien zersetzt. Diese mikrobielle Aktivität führt zur Veratmung, der Sauerstoffgehalt sinkt. „Die Quellen der weltweit zunehmenden Eutrophierung sind vielfältig. Neben der Landwirtschaft spielen auch Stickstoffeinträge aus der Atmosphäre, die über die Luft in die Seen gelangen, eine wichtige Rolle“, sagt der Biologe. Zudem steigen die globalen Lufttemperaturen, was stabilere und längere Schichtungsphasen begünstigt und die Sauerstoffkonzentrationen weiter sinken lässt.

Ein weiterer Faktor: Sauerstofffreie Zonen verändern die biogeochemischen Prozesse auf komplexe Weise und intensivieren die internen Stoffkreisläufe. Dadurch kann auch das Rückhaltevermögen für Phosphat im Sediment verringert werden, so dass mehr Nährstoffe für das Algenwachstum im Wasserkörper zur Verfügung stehen. Diese Rückkopplungsmechanismen beschleunigen die Eutrophierung der Seen. „Auch im Stechlin enthält das Sediment relativ viel Phosphat, und es besteht die Gefahr, dass dieses durch veränderte Umweltbedingungen wieder freigesetzt wird“, sagt Hans-Peter Grossart. Was dem Forscher ebenfalls Sorgen bereitet: In Seen mit längeren anoxischen Phasen kann sich durch die Sulfatreduktion Schwefelwasserstoff anreichern. „Der stinkt und ist giftig, die ganze Chemie des Sees verändert sich. Das ist auch ein Problem für das Trinkwasser“, sagt er. Die Konkurrenz zwischen Phosphat und Schwefelwasserstoff erklärt auch, warum die Sedimente im Stechlinsee weniger Phosphor an Eisen binden können als früher.

In eine ähnliche Richtung gehen die Ergebnisse einer Studie, an der auch Stella Berger mitwirkte. Dabei wurden die Daten des gelösten Sauerstoffs im Tiefenwasser von zwölf geschichteten Seen der nördlichen Hemisphäre im Winter und Sommer untersucht und verglichen. „Hypoxie, also gelöster Sauerstoff unter 3 mg/l, trat in mehr als der Hälfte der Seen auf und dauerte im Sommer durchschnittlich 83 Prozent länger als im Winter“, berichtet die Forscherin. Wie schnell der gelöste Sauerstoff abnahm, hing im Winter vor allem von der Morphologie des Sees ab, im Sommer vom trophischen Zustand. „Solange sich dimiktische Seen zweimal jährlich vollständig durchmischen, wird im Herbst und im Frühjahr der gesamte Wasserkörper bis in die Tiefe mit Sauerstoff versorgt. Im Zuge des Klimawandels mit wärmeren und länger andauernden Sommern verändern sich diese Muster, die Periode mit stabiler Schichtung verlängert sich. Das kann dazu führen, dass die Vollzirkulation im Herbst später einsetzt, unvollständig ist oder ganz ausfällt, so dass der Sauerstoffgehalt im Tiefenwasser niedrig bleibt. Erste Anzeichen dafür finden wir auch im Stechlin“, sagt Stella Berger.

Sauerstoffgehalt und Methanproduktion hängen eng zusammen

Mina Bizic will wissen, wie Sauerstoff im Seewasser und die Produktion des Treibhausgases Methan zusammenhängen: Etwa 25 Prozent der weltweiten Methanemissionen stammen aus Seen, Talsperren und Flüssen. „Neuere Messungen zeigen, dass der Methanausstoß von Seen bereits angestiegen ist“, sagt die Forscherin. Lange galt, dass Methan nur unter anoxischen Bedingungen von einer Gruppe spezialisierter Mikroorganismen produziert wird, die zu den Archaeen gehören (einzellige Organismen, die sowohl Bakterien als auch höheren Organismen ähneln). Diese zersetzen organisches Material in Sedimentnähe, wobei Methan entsteht. „Wie wir zeigen konnten, wird es aber auch an anderen Stellen im Wasser und unter oxischen Bedingungen produziert, und zwar kontinuierlich “, betont Mina Bizic. Die oxische Methanproduktion kann bis zu 85 Prozent der Gesamtemissionen eines Sees ausmachen, aber auch deutlich geringer sein.

Auch hier spielen zu viele Nährstoffe im See eine Rolle. Sie führen oft zu Blüten von Cyanobakterien und Algen. Stirbt diese Biomasse ab, wird sie von Mikroorganismen zersetzt, die dafür Sauerstoff benötigen. Dadurch wird dem See Sauerstoff entzogen, und es entstehen mehr sauerstofffreie Zonen im See, in denen die Archaeen ihre Arbeit verrichten können. Außerdem sinkt ein Teil dieser Biomasse in Form von flockenartigen Aggregaten ab. Sind diese groß genug, können sie sauerstofffreie Zonen enthalten, wie Mina Bizic erklärt. „Wir nennen das anoxische Mikronischen“, sagt die Wissenschaftlerin. Auch darin können Archaeen Methan produzieren, das viel schneller an die Oberfläche und in die Luft gelangt als vom Seeboden. Auch die Morphologie des Sees spielt eine Rolle: Sie bestimmt, aus welcher Quelle wie viel Methan in die Atmosphäre gelangt, ob durch klassische oder oxische Methanproduktion.

Spurenstoffe in Flüssen werden ohne Sauerstoff schlechter abgebaut

Sauerstoff ist auch für die Selbstreinigung von Gewässern wichtig, wie die Arbeit von Jörg Lewandowski zeigt. Seine Arbeitsgruppe untersucht den Abbau von organischen Spurenstoffen, also beispielsweise von Rückständen aus der Industrie oder von Arzneimitteln, in der hyporheischen Zone. Vereinfacht ist dies das Gewässerbett. Dort finden viele Abbauprozesse statt, die wesentlich zur Selbstreinigungskraft von Fließgewässern beitragen: Auf dem Flussbett finden sich rippelförmige Strukturen, eine Art kleine Dünen am Gewässergrund. Diese bewirken, dass ein Teil des Flusswassers durch das Sediment strömt. „Auf diesem Fließweg werden viele Spurenstoffe gut, wenn auch selten vollständig abgebaut“, sagt Jörg Lewandowski. Es entstehen Transformationsprodukte. Fehlt der Sauerstoff, werden die meisten Spurenstoffe kaum noch abgebaut. Organische Spurenstoffe sind im Flusswasser unerwünscht, weil sie Ökosysteme belasten, sich in der Nahrungskette anreichern können und die Nutzbarkeit, z. B. für die Trinkwasserproduktion, einschränken.

Sauerstoffmangel und seine Folgen lassen sich vorhersagen

Um die Auswirkungen von Klima- und Umweltveränderungen auf Seen besser überwachen zu können, hat die Arbeitsgruppe von Michael Hupfer, in der Robert Schwefel als Postdoktorand forscht, zwei Modelle mitentwickelt. Mit dem ersten lässt sich die Entwicklung des Sauerstoffgehalts in Seen im Sommer vorhersagen: „Das ist ein stark vereinfachtes Modell, das die Sauerstoffkonstellation als Funktion der Temperatur unter nährstoffarmen, mäßig nährstoffreichen oder nährstoffreichen Bedingungen und der Schichtungsdauer vorhersagt“, erklärt Robert Schwefel. Das Modell basiert auf umfangreichen Sauerstoffzehrungsdaten aus einer Literaturstudie und wurde mit IGB-Messdaten aus mehreren Seen validiert.

Außerdem hat das Team gemeinsam mit der TU Bergakademie Freiberg eine einfach zu handhabende Berechnungsmethode entwickelt, mit der sich die Folgen von Sauerstoffmangel auf das Tiefenwasser von Seen abschätzen lassen. Dazu nutzten die Forschenden zeitlich und räumlich hoch aufgelöste Informationen über die Dauer der Anoxie. Die Forschenden zeigten auch, dass sich diese Informationen relativ einfach aus wenigen Messungen und der Topographie des Gewässerbodens berechnen lassen. „Aus solchen Modellen können dann auch Anpassungsstrategien für die Bewirtschaftung von Seen und Talsperren entwickelt werden“, ist Michael Hupfer überzeugt. So kann die Forschung nicht nur dazu beitragen, den Ernst der Lage besser zu verstehen, sondern auch dabei helfen, mögliche Verbesserungen einzuleiten.

Selected publications
Januar 2024

Anoxia begets anoxia: A positive feedback to the deoxygenation of temperate lakes

Abigail S. L. Lewis; Maximilian P. Lau; Stephen F. Jane; Kevin C. Rose; Yaron Be'eri-Shlevin; Sarah H. Burnet; François Clayer; Heidrun Feuchtmayr; Hans-Peter Grossart; Dexter W. Howard; Heather Mariash; Jordi Delgado Martin; Rebecca L. North; Isabella Oleksy; Rachel M. Pilla; Amy P. Smagula; Ruben Sommaruga; Sara E. Steiner; Piet Verburg; Danielle Wain; Gesa A. Weyhenmeyer; Cayelan C. Carey
Global Change Biology. - 30(2024)1, e17046
Ansprechpersonen

Robert Schwefel

Postdoktorand*in
Forschungsgruppe
Biogeochemische Prozesse in Sedimenten und Seenrestaurierung

Stella A. Berger

Forschungsgruppenleiter*in
Forschungsgruppe
Phytoplanktonökologie

Mina Bizic

Eigene Stelle (DFG)
Forschungsgruppe
Aquatische mikrobielle Ökologie

Jörg Lewandowski

Forschungsgruppenleiter*in
Forschungsgruppe
Grundwasser-Oberflächenwasser Interaktionen

Michael Hupfer

Forschungsgruppenleiter*in
Forschungsgruppe
Biogeochemische Prozesse in Sedimenten und Seenrestaurierung