Pressemitteilung
Nadja Neumann

Mikroplastik: Einige Seen stärker belastet als die Ozeane

Kunststoffe und Mikroplastik finden sich weltweit in Seen und Stauseen. Die Verschmutzung betrifft selbst die entlegensten Orte, an denen der Einfluss des Menschen minimal ist. Zudem sind die Mikroplastikkonzentrationen im Süßwasser teilweise höher als in den subtropischen Ozeanwirbeln, also den Meeresgebieten, in denen sich große Mengen an Plastikmüll ansammeln. Das zeigt eine internationale Studie an 38 Seen und Talsperren unter Leitung der italienischen Universität Milano-Bicocca mit Beteiligung des IGB, die nun in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurde.

Plastikpartikel im Wasser. | Foto: shutterstock:1507315184, Dotted Yeti

Die internationalen Forschenden untersuchten 38 Seen und Talsperren in unterschiedlichen Regionen der Welt mit unterschiedlichen Umweltbedingungen, um Faktoren für Mikroplastikverschmutzung zu identifizieren. Sie fanden in allen untersuchten Seen und Stauseen Mikroplastik – selbst in entlegenen Gegenden. Zu erwarten war, dass zwei Arten von Seen besonders anfällig für Mikroplastikverschmutzung sind: Erstens, Seen und Stauseen in dicht besiedelten und urbanisierten Gebieten und zweitens, große Seen und Stauseen mit großen Grundflächen, langen Verweilzeiten des Wassers und starkem menschlichem Einfluss.

Ausmaß überraschte die Forschenden

Überrascht waren die Forschenden jedoch vom Ausmaß der Verschmutzung in einigen Seen: Obwohl die Mikroplastikkonzentrationen von See zu See stark variierten, erreichten oder übertrafen sie in den am stärksten verschmutzten Seen die Konzentrationen in den subtropischen Ozeanwirbeln – jenen bekannten Meeresgebieten, in denen sich große Mengen an Müll ansammeln.

„Unsere Ergebnisse zeigen zum ersten Mal ein umfassendes Bild der Plastikverschmutzung in Seen. Sie verdeutlichen, wie wichtig es ist, Seen und Stauseen in den Kampf gegen die Mikroplastikverschmutzung einzubeziehen, sowohl für das Management als auch für den Erhalt der Ökosystemleistungen der Seen“, sagt Professor Hans-Peter Grossart, Wissenschaftler am IGB und Mitautor der Studie.

Um verschiedene Seentypen abzudecken, untersuchten die Forscherinnen und Forscher Seen entlang eines Gradienten von Größe, Tiefe, Besiedlungsdichte und Versiegelungsgrad des Umlandes. Da es sich um eine Momentaufnahme handelte, wurden zeitliche und räumliche Schwankungen des Mikroplastikvorkommens nicht berücksichtigt.

45 Prozent der Seen enthalten mehr als einen Plastikpartikel pro Kubikmeter Wasser

Pro Standort filterten die Forschenden durchschnittlich 140 Kubikmeter Seewasser. Dabei zählten sie nur Mikroplastikpartikel, die größer als 0,25 Millimeter waren. Sie analysierten auch die Art des Kunststoffs und fanden vor allem Polyester, Polypropylen und Polyethylen.

Die Kunststoffsignatur war von See zu See sehr unterschiedlich: Die Mikroplastikkonzentration variierte über vier Größenordnungen von 0,01 bis zu mehr als 10 Partikeln pro Kubikmeter. Aber selbst in entlegenen Gegenden, wie im Lake Tahoe in der Sierra Nevada oder in Bergseen, war Mikroplastik zu finden. 45 Prozent der untersuchten Seen wiesen mehr als einen Partikel pro Kubikmeter auf, die am stärksten verschmutzten über 10 Partikel pro Kubikmeter.

Seen mit langer Verweilzeit des Wassers als Senke für Mikroplastik

Zu den Seen mit der höchsten Mikroplastikbelastung gehören auch einige, die als Trinkwasserquellen genutzt werden, wie der Lago Maggiore (IT), der Luganer See (CH-IT), der Lake Tahoe (USA) und der Lake Neagh (UK). Sie sind zudem für die jeweilige Freizeitwirtschaft von zentraler Bedeutung.

Diese großen Seen sind aufgrund der langen Verweildauer des Wassers Senken für Kunststoffe. Im Tahoe-See beispielsweise dauert es etwa 650 Jahre, bis sich der gesamte Wasserkörper durch Zu- und Abfluss einmal ausgetauscht hat. „Solche Seen fungieren als ,Fallen‘ für Plastik und können im Laufe der Zeit erhebliche Mengen an Mikroplastik ansammeln“, erläutert IGB-Forscherin Dr. Stella Berger, Mitautorin der Studie.

In Deutschland überraschte der Stechlinsee die Forschenden mit relativ hohen Mikroplastikkonzentrationen in Form von Mikrofasern, denn das Ufer des Sees ist weitgehend natürlich und von Buchenwald umgeben. „Es könnte sich dabei um Fasern von Kleidung handeln, die auf der Haut von Badenden haften und so ins Gewässer gelangen“, vermutet Hans-Peter Grossart.

Trinkwassernutzung und Ökosysteme gefährdet

Die Mikroplastikverschmutzung hat nicht nur negative Auswirkungen auf die Trinkwassernutzung, sondern auch auf Wasserorganismen und das Funktionieren des Ökosystems. Veronica Nava von der Universität Milano-Bicocca hat die Studie geleitet, sie erklärt: „Plastik, das sich an der Oberfläche von Gewässern ansammelt, kann die Freisetzung von Methan und anderen Treibhausgasen fördern. Kunststoffe im Wasser können mit der Atmosphäre, der Biosphäre und der Lithosphäre interagieren, was sich möglicherweise auf die biogeochemischen Kreisläufe auswirkt, d. h. auf die Zirkulation chemischer Elemente zwischen den verschiedenen Kompartimenten der Erde, die durch chemische Umwandlungen und Reaktionen von der lebenden Materie in die anorganische Materie übergehen, und zwar über Mechanismen, die noch nicht verstanden sind und eine ganzheitliche Bewertung der Kunststoffverschmutzung in Süßgewässern erfordern."

Forschungsnetzwerk ermöglichte Großstudie

Die Studie ist in ihrer geographischen Ausdehnung und der Vergleichbarkeit der Ergebnisse einzigartig. Frühere Studien bezogen sich hauptsächlich auf eine begrenzte Anzahl von Süßwassersystemen in begrenzten geografischen Regionen. Darüber hinaus waren direkte quantitative Vergleiche zwischen den Studien aufgrund fehlender standardisierter Probenahmeverfahren nicht möglich.

Die Studie wurde im Rahmen des GLEON-Netzwerks durchgeführt. GLEON steht für Global Lakes Observatory Network, in dem Seenforscherinnen und -forscher aus aller Welt regelmäßig und unter standardisierten Bedingungen Daten von Seen erheben. So erhalten sie ein Bild davon, wie sich Seen weltweit im Zuge des Klimawandels und durch andere menschliche Einflüsse verändern.

Den Artikel in der Fachzeitschrift Nature lesen >

Ansprechpersonen

Stella A. Berger

Forschungsgruppenleiter*in
Forschungsgruppe
Phytoplanktonökologie

Solvig Pinnow

Technik und Labor
Forschungsgruppe
Aquatische mikrobielle Ökologie