Bei den meisten Wirbeltieren entwickeln sich zwei getrennte biologische Geschlechter, die bis auf wenige Ausnahmen durch Geschlechtschromosomen bestimmt werden. Amphibien besitzen jedoch häufig mikroskopisch nicht unterscheidbare Geschlechtschromosomen, wobei entweder Männchen (XY) oder Weibchen (ZW) jeweils unterschiedliche Geschlechtschromosomen aufweisen.
Das Genom von Amphibien ist in der Regel deutlich größer als das des Menschen. So ist es nicht verwunderlich, dass bisher nur ein einziges geschlechtsbestimmendes Gen bei einer häufig untersuchten Modellart, dem Afrikanischen Krallenfrosch, identifiziert werden konnte. Ob bei den insgesamt über 8600 Amphibienarten noch weitere Gene für die Geschlechtsdifferenzierung wichtig sind, war bislang unbekannt.
Ein Forschungsteam unter Leitung des IGB hat nun bei der Wechselkröte einen Genabschnitt identifiziert, der das Geschlecht bestimmt. „Die genetische Geschlechtsbestimmung bei Amphibien ist noch eine große Wissenslücke. Es ist aber sehr wichtig, die genetische Regulation der Fortpflanzung bei Amphibien zu verstehen, da sie als semiaquatische Lebewesen vor und nach der Metamorphose sehr empfindlich auf hormonell wirksame Umweltgifte in Gewässern, so genannte endokrine Disruptoren, reagieren“, sagt Studienleiter PD Dr. Matthias Stöck.
Durch die Sequenzierung und Analyse der kompletten Genome einer weiblichen und einer männlichen Wechselkröte konnten nun erstmals strukturelle Unterschiede zwischen den ansonsten sehr ähnlichen X- und Y-Chromosomen identifiziert werden. Dieser geschlechtsbestimmende Genort besteht aus einer langen nicht-kodierenden RNA (lncRNA) und befindet sich in der 5'-regulatorischen Region des bod1l-Gens. „Die Y-spezifische nicht-kodierende RNA, die nur bei Männchen exprimiert wird, deutet darauf hin, dass dieser Genort die männliche Geschlechtsdifferenzierung auslösen könnte“, sagt Dr. Heiner Kuhl, Erstautor der Studie.
Der identifizierte geschlechtsbestimmende Genort konnte auch bei mehreren nahe verwandten Wechselkrötenarten nachgewiesen werden. Im nächsten Schritt wollen die Forschenden das Ergebnis mit Hilfe der CRISPR/Cas9-Technik – der sogenannten Genschere – validieren, indem sie die Expression des identifizierten bod1I-Gens gezielt steuern.
„Weitere Untersuchungen zur Funktion des neu identifizierten Genorts werden wichtige Erkenntnisse zur epigenetischen Kontrolle der Geschlechtsdifferenzierung liefern, die möglicherweise auch für andere Tierarten relevant sind“, sagt Prof. Christoph Winkler von der National University of Singapore, der derzeit als Gastwissenschaftler am IGB forscht und an der Studie beteiligt war.