Dörthe Tetzlaff | © David Ausserhofer/IGB
Die Region Berlin-Brandenburg ist zwar gewässerreich, aber gleichzeitig sehr wasserarm. Frau Tetzlaff, Sie sind Hydrologin: Wie viel Wasser gelangt denn tatsächlich in die Spree und welche Wasserstände haben wir in Zukunft zu erwarten?
Berlin-Brandenburg ist eine der niederschlagsärmsten Regionen Deutschlands. Die ohnehin geringen Niederschläge gehen durch sehr hohe Verdunstungsraten schnell verloren. Im Vergleich zu anderen bekannten Flüssen führt die Spree daher im Jahresmittel nur sehr wenig Wasser, weniger als 10 Prozent des Jahresniederschlags.
Ein Großteil des Abflusses – in den Sommermonaten bis zu 40 Prozent – stammt derzeit noch aus den sogenannten Sümpfungswässern des Braunkohlereviers. Das Bergbaurevier entwickelt sich aber zunehmend von einer Wasserquelle zu einer Wassersenke, in der große Bergbaufolgeseen entstehen, die über ihre großen Oberflächen zusätzlich Wasser verdunsten. Wir erwarten deshalb, dass die Wasserressourcen der Spree, die auch einen wichtigen Teil der Berliner und Brandenburger Wasserversorgung ausmachen, in Zukunft noch anfälliger sein werden. Dies erfordert eine sorgfältige Planung und Bewirtschaftung der Ressourcen, denn die Auswirkungen des Klimawandels und des anhaltenden Bevölkerungswachstums sind in Berlin bereits heute spürbar.
Gibt es Möglichkeiten, das Landmanagement und die Landnutzung in der Spreeregion anzupassen, um den Wasserrückhalt zu verbessern?
Tatsächlich können unterschiedliche Landnutzungen wie Wald, Grünland, Agroforstwirtschaft oder Ackerbau die Hydrologie von Landschaften beeinflussen – zum Beispiel wie sich Niederschläge verteilen und wie viel davon verdunstet.
Mit Hilfe der Tracer-gestützten ökohydrologischen Modellierung können wir die Unterschiede zwischen diesen verschiedenen Landnutzungen sowie die zeitliche Dynamik von Bodenfeuchte, Wasserständen und Grundwasseranreicherung gut abbilden. Großflächige Kiefernmonokulturen führen im Vergleich zu anderen Vegetationsformen zu hohen Verdunstungsverlusten durch Transpiration und Interzeption, was sich in verringerten Infiltrationsraten und Grundwasserneubildungen widerspiegelt. Auf Acker- und Weideflächen kann dem Boden insbesondere im Frühjahr, wenn die Vegetationsdecke noch nicht sehr dicht ist, viel Wasser durch Verdunstung entzogen werden, das dann ebenfalls nicht für die Grundwasserneubildung zur Verfügung steht.
Wir empfehlen daher ein sogenanntes Landnutzungsmosaik, d. h. weg von monotonen Großflächen, hin zu einer abwechslungsreichen Landnutzung wie Agroforstwirtschaft oder Mischwälder mit unterschiedlichen Baumarten und Altersstufen und einer möglichst optimalen Verteilung hinsichtlich Bodenbedeckung, Erhöhung der Infiltration und Grundwasserneubildung bei gleichzeitiger Minimierung der Verdunstungsverluste.
Stephanie Spahr | © David Ausserhofer/IGB
Wenn die Spree perspektivisch immer weniger Wasser in die Hauptstadt bringt, kann dann auch das Berliner Regenwasser ein Teil der Lösung sein, Frau Spahr?
Regenwasser ist eine wertvolle, aber noch zu wenig genutzte Ressource für den städtischen Wasserhaushalt. Mit dem Regenwasser werden allerdings auch Schadstoffe zum Beispiel von Straßen oder Gebäuden abgeschwemmt, die in Gewässer oder ins Grundwasser gelangen können. Bei Starkregenereignissen ist zudem der Zufluss in die Kläranlagen groß, so dass diese überlaufen können. Der Eintrag von ungeklärtem Abwasser in die Gewässer kann Ökosysteme stark beeinträchtigen und auch zu Fischsterben führen, wie wir es in Berlin nach Regenfällen immer wieder beobachten.
Um solche Ereignisse zu vermeiden und Regenwasser als Ressource zu nutzen, strebt Berlin eine dezentrale Regenwasserbewirtschaftung an. Dabei spielen multifunktionale blau-grüne Infrastrukturen wie Teiche oder bewachsene Mulden eine zentrale Rolle. Sie bieten wertvolle Lebensräume, erhöhen die urbane Lebensqualität und halten das Regenwasser in der Stadt. Eine Herausforderung bleibt: Persistente, mobile und potentiell toxische organische Substanzen lassen sich nur schwer aus dem Regenwasser entfernen. Um Regenwasser sicher für den städtischen Wasserhaushalt nutzen oder in die Spree einleiten zu können, müssen diese Schadstoffe gezielt überwacht, Emissionen vermieden und Reinigungsverfahren verbessert werden.
Tobias Goldhammer | Foto: privat
Nicht nur Regen trägt Schadstoffe ein, die Spree ist auch mit Sulfat, Eisen, Schwermetallen, Nährstoffen sowie Altlasten aus Landwirtschaft und Industrie belastet. Herr Goldhammer, wie steht es heute um die chemische Wasserqualität des Flusses?
Leider hat sich die Wasserqualität in den letzten 10 Jahren hinsichtlich der Hauptbelastungen nicht weiter verbessert. Vor allem der Braunkohletagebau im Lausitzer Revier, der große Mengen an Eisen und Sulfat einträgt, prägt die Spree. Während Eisen unterhalb des Spreewalds keine große Rolle mehr spielt, verteilt sich Sulfat über den gesamten Flussbereich bis in die Berliner Stadtspree. Die Konzentrationen erreichen zunehmend eine Größenordnung, die bei der Trinkwassergewinnung aus Spree-Uferfiltrat in einigen Wasserwerken bereits die Zumischung von sulfatärmerem Grundwasser erforderlich macht.
Auch Schwermetalle werden durch den Bergbau freigesetzt. Die Hauptquellen sind jedoch urban-industriellen Ursprungs und wirken sich daher vor allem in der Stadtspree aus. Es muss beobachtet werden, wie sich die Belastungssituation durch die Ansiedlung großer Industriebetriebe im Einzugsgebiet weiter entwickeln wird. Bei den Nährstoffen, insbesondere Stickstoff aus der Landwirtschaft und Phosphor aus häuslichen Abwässern, sind die Konzentrationen im Vergleich zu früheren Jahrzehnten zurückgegangen, die Orientierungswerte für einen guten ökologischen Zustand werden aber noch nicht flächendeckend eingehalten. Insgesamt ergibt sich ein nach wie vor problematisches Gesamtbild, das sich durch die Herausforderungen des Klimawandels weiter verschärfen wird, wenn wir nicht gegensteuern.
Jörg Lewandowski | © David Ausserhofer/IGB
Ein Fluss, dem das Wasser ausgeht, kann Nähr- und Schadstoffeinträge kaum noch verdünnen. Richtig, Herr Lewandowski?
Genau, die Wasserqualität hängt stark von der Wassermenge ab. Nehmen wir zum Beispiel das von Tobias Goldhammer erwähnte gereinigte Abwasser aus Kläranlagen, das so genannte Klarwasser, das in die Spree und ihre Zuflüsse eingeleitet wird. Gereinigt heißt nicht, dass das Wasser wirklich komplett sauber ist. Viele problematische Wasserinhaltsstoffe werden in den Kläranlagen nicht entfernt, zum Beispiel organische Spurenstoffe wie Arzneimittel oder Industriechemikalien. Je geringer die Wasserführung der Spree ist, desto weniger wird dieses Klarwasser verdünnt.
Durch die Nachrüstung einer vierten Reinigungsstufe in den Kläranlagen könnte die Qualität des Klarwassers aber deutlich verbessert werden. Darüber hinaus können Fließgewässerrevitalisierungen in den Spreezuflüssen die natürliche Reinigungsleistung der hyporheischen Zone, also des Flussbetts, erhöhen.
In Zeiten des Klimawandels und eines steigenden Wasserverbrauchs wird gut gereinigtes Klarwasser zu einer immer wichtigeren Ressource für Gewässerökosysteme. Schon heute steigt in trockenen Sommern der Anteil des gereinigten Abwassers in der Spree stellenweise massiv an und kann in Berlin-Köpenick über 50 Prozent betragen. Die Wasserführung der Spree reicht zeitweise nicht mehr aus, um die Verdunstung aus dem Müggelsee und die Wasserentnahme durch die Uferfiltration auszugleichen, so dass es unterhalb des Müggelsees zeitweise zu einer Umkehr der Fließrichtung kommen kann.
Martin Pusch | © David Ausserhofer/IGB
Das Klarwasser aus dem Klärwerk Münchehofe fließt dann in umgekehrter Richtung über die Erpe und die Spree in den Müggelsee, aus dem wiederum Trinkwasser gewonnen wird. Herr Pusch, was empfehlen Sie Politik und Behörden im Umgang mit der Situation?
Dem Fluss wird an so vielen Stellen Wasser entnommen, dass er bereits 2003 abschnittsweise rückwärts floss. Ohne Sümpfungswasser würde die Spree im Sommer regelmäßig trockenfallen. Um die Spreegewässer mit ihrer noch reichen Tier- und Pflanzenwelt und ihren vielfältigen Ökosystemleistungen in der gewohnten Form zu erhalten, sind daher Anstrengungen auf mehreren Ebenen erforderlich: Der technische Wasserrückhalt wird nicht ausreichen und muss durch weitere Maßnahmen ergänzt werden, insbesondere durch Wassersparen, weitergehende Abwasserreinigung, Wasserrecycling, aber auch durch naturbasierte Lösungen wie Wasserrückhalt in der Fläche, ergänzt durch aktive Grundwasseranreicherung in Zeiten mit Wasserüberschuss.
Dringend notwendig ist auch die Anpassung des Flussbetts an die geringere Wasserführung, damit die Spree weiter fließt und somit als Flussökosystem erhalten bleibt. Eine solche Maßnahmenpalette kann natürlich nur umgesetzt werden, wenn alle relevanten Akteure einbezogen und wasserwirtschaftliche Handlungsalternativen mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen transparent abgewogen werden.
Michael Hupfer | © David Ausserhofer/IGB
Einträge von Eisen führen in der Spree zur Braunfärbung des Wassers. Ist das nur ein sehr lokales Problem und was ist über die Auswirkungen bekannt, Herr Hupfer?
Sedimentuntersuchungen entlang der Spree haben anhand typischer Muster und Signaturen gezeigt, dass die bergbaulichen Aktivitäten in der Lausitz noch in über 90 km Entfernung deutlich nachweisbar sind. Danach dominieren bis zur Mündung in die Havel zunehmend städtische Einflüsse die geochemische Beschaffenheit der Sedimente. Bis zur Talsperre Spremberg führen Eisenablagerungen und -umlagerungen zu lebensfeindlichen Bedingungen für viele Organismen.
Entlang der Spree unterliegen die aus der Pyritverwitterung stammenden Eisen- und Schwefelverbindungen unterschiedlichen Transportmechanismen, was wir auch mit Hilfe von Fernerkundungsmethoden nachweisen konnten. Während die hohen Sulfatkonzentrationen in Berlin noch stark vom Bergbau beeinflusst sind, spielt der zusätzliche Eiseneintrag nach der Talsperre Spremberg keine nennenswerte Rolle mehr im Stoffhaushalt der Spree. Die Erwartung, dass der erhöhte Eiseneintrag aus dem Bergbau so viel Phosphor bindet, dass ein positiver Effekt auf die Eutrophierung der durchflossenen Seen entsteht, konnten wir durch Laborexperimente und Modellrechnungen nicht bestätigen.
Sabine Hilt | © David Ausserhofer/IGB
Frau Hilt, Sie haben in der Spree die Rückkehr von zum Teil seltenen Wasserpflanzen beobachtet, was eigentlich ein Zeichen für eine verbesserte Wasserqualität ist. Gleichzeitig stirbt aber das Schilf und es kommt zu massiven Algenblüten. Wie passen diese Beobachtungen aus Ihrer Sicht zusammen?
Die Nährstoffeinträge von Stickstoff und Phosphor sind im Bereich oberhalb des Müggelsees in den letzten vier Jahrzehnten insgesamt zurückgegangen – und damit in diesem Bereich auch die Menge der Algen, die das Wasser trüben. Dadurch kann mehr Sonnenlicht eindringen. Das hat die Wiederbesiedlung der Spree mit Unterwasserpflanzen befördert und zu einer positiven Rückkopplung geführt: Mehr Pflanzen halten im Sommer wie ein Sieb mehr Partikel zurück und erhöhen so die Klarheit des Wassers. Sie verlangsamen einerseits auf natürliche Weise den Abfluss und halten das Wasser im Flusssystem zurück, andererseits erhöhen sie auch die Strukturvielfalt im Flussbett.
Darüber hinaus bieten Wasserpflanzen vielen Tieren und Kleinstlebewesen zusätzlichen Lebensraum. Eine mechanische Entfernung dieser Pflanzen, z. B. für den Hochwasserschutz, sollte daher so selten und so gering wie möglich erfolgen. In den Sedimenten der von der Spree durchflossenen Seen, wie dem Müggelsee, sind jedoch noch große Mengen an Nährstoffen, vor allem Phosphor, gespeichert. Dies kann im Sommer, begünstigt durch zunehmend höhere Wassertemperaturen, zu Massenentwicklungen von Cyanobakterien – umgangssprachlich Blaualgen genannt – führen.
Der Rückgang des Schilfs ist unter anderem auf den Fraßdruck durch Pflanzenfresser wie Bisam und Nutria zurückzuführen, aber auch andere Faktoren spielen eine Rolle.
Sonja Jähnig | © David Ausserhofer/IGB
Angesichts des Wassermangels ist auch von einem ökologischen Grundbedarf die Rede. Frau Jähnig, was genau ist damit eigentlich gemeint?
Es gibt dafür auch andere Begriffe, zum Beispiel „Gesamtumweltwasserbedarf“ oder „ökologischer Mindestwasserbedarf“. Im Englischen spricht man von „Environmental Flow Requirements“. Darunter versteht man den Bedarf an Süßwasser, den aquatische Lebensräume und wassergebundene Landökosysteme benötigen, um ihre ökologischen Funktionen aufrechterhalten zu können.
Für die Spree liegt die wissenschaftlich empfohlene Mindestwasserführung bei 5 bis 8 Kubikmetern pro Sekunde (m3 /s) – im Frühjahr und Sommer führt die Spree häufig schon weniger Wasser. Wichtig ist jedoch, nicht nur die Oberflächengewässer selbst zu berücksichtigen, sondern auch deren Einzugsgebiete, also neben den Fließgewässern auch deren Auen sowie weitere grundwasserabhängige Landökosysteme. Dabei spielen sowohl die Wassermenge als auch die Qualität und der Zeitpunkt des Wasserdargebots sowie der Sedimenttransport und die Vernetzung der Gewässer eine Rolle. Der wichtige Grundgedanke: Nur wenn die Gewässerökosysteme ausreichend Wasser für ihre Grundfunktionen zur Verfügung haben, können sie auch vom Menschen nachhaltig als Lebensgrundlage genutzt werden.