© David Ausserhofer/IGB
Frau Jähnig, Stark- oder Dauerregen werden durch den Klimawandel voraussichtlich häufiger auftreten. Werden wir uns an Hochwasser gewöhnen müssen?
Leider ja, zumindest wenn wir so weitermachen wie bisher. Hochwasser sind eigentlich ganz natürliche Ereignisse in intakten Flusslandschaften, die über Jahrtausende eine einzigartige Artenvielfalt und widerstandsfähige Ökosysteme hervorgebracht haben. Sie sind sogar Voraussetzung für lebenswichtige Funktionen – zum Beispiel für die Grundwasserneubildung.
Erst der Mensch hat durch Begradigungen und zu eng geführte Deiche Flüsse geschaffen, in denen Hochwasserwellen schneller und höher anschwellen. Statt sich in der Aue auszubreiten und teilweise zu versickern, fließen große Wassermengen schneller ins Meer. Das hatte zwar durchaus Vorteile, etwa für die Schifffahrt und die Landwirtschaft, birgt aber – wie wir heute sehen – auch erhebliche Risiken.
Technische Hochwasserschutzanlagen bieten keinen absoluten Schutz. Sie greifen stark in die Gewässerstruktur ein, sind teuer und lassen sich nur schwer an zunehmende Hochwasserereignisse anpassen. Als Gesellschaft müssen wir daher anders mit unseren Flüssen und Auen umgehen.
Deiche oder künstliche Rückhaltebecken sollten vermehrt durch naturbasierte Lösungen ersetzt oder zumindest ergänzt werden. Diese neuen Ansätze sind in der Regel multifunktional, d.h. sie dienen verschiedenen gesetzlichen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Zielen gleichzeitig – im Falle der Flussauen z.B. der Klimaanpassung, der Erholung, dem Naturschutz oder der Biomasseproduktion. Hier gilt es, einen guten Mix zu finden und die Landschaft, übrigens auch unsere Wälder und Städte, so zu gestalten, dass sie Niederschläge besser aufnehmen und für heiße Jahreszeiten, in denen Wasser knapp ist, speichern können.
© David Ausserhofer/IGB
Bund und Länder haben nach dem großen Hochwasser von 2013 ein Nationales Hochwasserschutzprogramm beschlossen. Herr Pusch, wie bewerten Sie das Erreichte?
Ziel des Programms ist es, die Hochwasserstände der Flüsse auf weiten Strecken um 10 bis sogar 50 Zentimeter zu senken. Das wäre durchaus ein beachtlicher Erfolg für den Hochwasserschutz, allerdings ist unsicher, ob diese Kappung der Hochwasserwellen angesichts des Klimawandels ausreichen wird. Bedauerlich ist, dass der Hochwasserrückhalt zu zwei Dritteln durch neue Polder und nur zu einem Drittel durch naturnahen Hochwasserrückhalt wie Deichrückverlegungen erreicht werden soll. Leider befanden sich von den geplanten 168 raumbedeutsamen Teil- und Einzelmaßnahmen im Jahr 2023 – also zehn Jahre später – noch 66 in der Konzeptionsphase, 46 in der Vorplanung, 18 in der Genehmigungs- bzw. Vergabephase und nur 26 in der Bauphase.
Es gibt Länder, die im Hochwasserschutz deutlich besser aufgestellt sind, etwa die Niederlande. Dort werden seit fast 30 Jahren im Rahmen des Programms „Raum für den Fluss“ großflächig Deiche zurückverlegt und Überflutungsflächen geschaffen. In Deutschland hingegen wurde die aktive Auenfläche im Zeitraum 2009 bis 2020 nur um 0,1 Prozent pro Jahr vergrößert. Nach wie vor werden die meisten Mittel für den Hochwasserschutz in Deutschland in Deicherhöhungen und Deichverstärkungen investiert.
Aus wissenschaftlicher Sicht wäre es jedoch sinnvoll, Deiche gezielt auf den Schutz von Siedlungsgebieten zu beschränken und nicht zum Schutz landwirtschaftlicher Flächen einzusetzen, da dies die Hochwassergefahr für Siedlungen und wichtige Infrastruktur erhöht. Mögliche Ausgleichszahlungen an Landwirte, um den Flüssen wieder mehr Raum zu geben, werden durch vermiedene Hochwasserschäden in Siedlungen bei weitem aufgewogen. In revitalisierten Auen werden vielfältige Ökosystemleistungen wieder verfügbar, wie Nährstoffrückhalt, Kohlenstoff-Festlegung und nicht zuletzt das Schaffen von Lebensräumen für eine hohe Artenvielfalt.
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Stichwort Artenvielfalt: Sie sind Fischökologe, Herr Wolter, bedeuten mehr intakte Auen automatisch auch mehr Arten und stabilere Populationen?
Natürliche oder revitalisierte Flussauen gehören zweifellos zu den artenreichsten Lebensräumen in Deutschland. Altarme und flach überflutete Auen schaffen zum Beispiel strömungsberuhigte Zonen, in denen sich die Fischbrut ungestört entwickeln kann und sich schwimmschwache Fischarten wohlfühlen.
Wie wichtig diese Lebensräume sind, zeigt auch die Rote Liste der gefährdeten Süßwasserfische und Neunaugen in Deutschland, die wir 2023 gemeinsam mit Partnern aktualisiert haben. Inzwischen gelten mehr als die Hälfte der einheimischen Arten als gefährdet oder bereits ausgestorben. Wir müssen also eine sehr deutliche Verschlechterung der Gefährdungssituation der einheimischen Süßwasserfische und Neunaugen in der letzten vierzehn Jahren feststellen.
Selbst die Forelle (Salmo trutta) wurde neu als gefährdete Art eingestuft. Auch sie könnte von einem natürlichen Hochwasserschutz profitieren – vorausgesetzt, er beginnt an den Oberläufen. Wenn diese strukturreicher werden, viel mehr Abflusshindernisse wie Totholz oder große Steine aufweisen und eine Habitatvielfalt durch tiefe Kolke, breite und schmale Stellen oder kleine Stromschnellen entsteht, gewinnt auch die Forelle an Lebensraum – und mit ihr viele andere Tier- und Pflanzenarten.
Es sind eben nicht nur die großen Wasserstraßen begradigt, sondern auch sehr viele Flussoberläufe, um den Niederschlag möglichst schnell abzuführen. Für Hochwasser bedeutet das: Je gerader diese kleinen Nebengewässer sind, desto schneller kommt eine Wasserwelle in den flussabwärts gelegenen Gebieten an – so dass die Unterlieger am Ende kaum noch eine Chance haben, darauf zu reagieren.
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Prof. Tetzlaff, Wasserhaushalt und Landnutzung hängen untrennbar miteinander zusammen. Gibt es neben der Wiederherstellung von Auen weitere Möglichkeiten, um die Verweilzeit des Wassers und das Speichervermögen unserer Landschaften zu erhöhen?
Die Entwässerung landwirtschaftlicher Flächen und Feuchtgebiete, die Beseitigung von Auengebieten, die Abholzung von Wäldern, extensive Monokulturen und großflächige Versiegelungen haben in der Tat dazu geführt, dass unsere Böden immer weniger Wasser aufnehmen können und das Speichervermögen der Landschaft gesunken ist. Die Folge sind schnellere Abflussraten, insbesondere bei Hochwasserereignissen.
Dem kann durch verschiedene Landnutzungsstrategien entgegengewirkt werden, die das Wasserspeichervermögen der Böden verbessern und den Abfluss verlangsamen: Eine Möglichkeit ist zum Beispiel die Aufforstung mit Mischwäldern. Diese Maßnahme ist besonders im Bergland wirksam, wo Hochwasser in den höher gelegenen Oberläufen entsteht. Ein Waldanteil von 70 Prozent im Einzugsgebiet hält beispielsweise doppelt so viel Wasser zurück wie ein Waldanteil von 10 Prozent. Außerdem erhöhen Bäume die Verdunstung. Beides führt aber auch in trockenen Sommermonaten zu weniger Abfluss, was andere Ökosystemleistungen beeinträchtigen kann. Auch der Verzicht auf extensive Monokulturen zugunsten einer diversifizierten Land- und Forstwirtschaft – Agroforstwirtschaft, Mischwälder mit Bäumen unterschiedlichen Alters und der Anbau von Zwischenfrüchten – können dazu beitragen, die Infiltrationsraten des Bodens zu erhöhen.
Mit all diesen Maßnahmen können kleine und mittlere Hochwasser je nach Region wirksam gemildert und Schäden reduziert werden. Bei großen Überschwemmungen, wie sie im Zuge des Klimawandels häufiger zu erwarten sind, spielt die Landnutzung im Einzugsgebiet eine eher untergeordnete Rolle. Dennoch sind die Erhöhung der Waldbedeckung und die Wiederherstellung natürlicher Wasserspeicher positive Schritte, um die Resilienz unserer Landschaften gegenüber Hochwasserereignissen – und auch gegenüber Trockenheit – zu verbessern.