Einblick
Angelina Tittmann

Städtische Teiche: Verbessert die Anpassung an chemische Verschmutzung die Widerstandsfähigkeit aquatischer Ökosysteme?

Neues IGB-Vorhaben POUNDER im Leibniz-Wettbewerb gefördert
Es ist inzwischen schon gute Tradition am IGB, dass sich Projektvorschläge für den Leibniz-Wettbewerb zunächst einem internen Auswahlverfahren stellen. Die drei aussichtsreichsten Forschungsteams präsentieren ihre Ideen und Ansätze vor dem ganzen Institut und stellen sich den Fragen der Kolleginnen und Kollegen. Anschließend entscheidet eine Bewertungskommission, welcher Antrag eingereicht wird. Für den Leibniz-Wettbewerb 2024 fiel die Wahl auf POUNDER (Pollution in urban ponds, eco-evolutionary dynamics, and ecosystem resilience), ein Projekt der beiden Nachwuchsgruppenleiterinnen Lynn Govaert und Stephanie Spahr. Nun steht offiziell fest: Das Vorhaben hat sich auch im Senatsausschuss Wettbewerb der Leibniz-Gemeinschaft durchgesetzt und wird im Programm Kooperative Exzellenz ab Januar 2024 gefördert.

Teiche in der Stadt erbringen viele unterschiedliche Ökosystemleistungen; sie mildern Wärmeinseleffekte ab und tragen zum Hochwasserschutz bei. Gleichzeitig steigern sie das menschliche Wohlbefinden und fördern die biologische Vielfalt. Nicht nur deshalb werden sie in Städten zunehmend als naturbasierte Lösung zur Minderung klimabedingter Risiken eingesetzt.

Eine weitere Stärke dieser kleinen Gewässer ist, dass sie oft einzigartige Lebensgemeinschaften beherbergen – insbesondere kleinere Organismen wie Wasserflöhe, die sich an widrige Bedingungen wie chemische Verschmutzung oder extreme Wetterereignisse angepasst haben. Macht die Anpassung dieser Organismen städtische Teiche widerstandsfähiger gegen künftige globale Veränderungen? Werden unsere Städte dadurch gesünder und artenreicher? Können Forschende aus verschiedenen Disziplinen zusammen mit Stakeholdern und Praktikern Wissen über Stadtteiche generieren, das eine nachhaltige Stadtentwicklung fördert? Dies sind einige der Fragen, mit denen sich das neue Projekt POUNDER beschäftigt.

Löst chemische Verschmutzung evolutionäre Prozesse in urbanen Kleingewässern aus?

Die IGB-Forscherinnen Stephanie Spahr und Lynn Govaert wollen herausfinden, wie chemische Verschmutzung jene öko-evolutionären Prozesse beeinflusst, welche die Widerstandsfähigkeit aquatischer Ökosysteme verbessern können. „Wir haben uns bewusst für urbane Teiche entschieden, weil die Verstädterung ein sehr relevanter Aspekt des globalen Wandels ist. Menschen und Ökosysteme in Städten werden in Zukunft vermehrt Stress- und Risikofaktoren wie Hitzewellen, intensiven Regenfällen und Verschmutzung ausgesetzt sein“, erklärt die Umweltchemikerin Stephanie Spahr.

Stephanie Spahr

© David Ausserhofer/IGB

„Verstädterung ist ein sehr relevanter Aspekt des globalen Wandels. Menschen und Ökosysteme in Städten werden in Zukunft vermehrt Stress- und Risikofaktoren wie Hitzewellen, intensiven Regenfällen und Verschmutzung ausgesetzt sein.“

Dr. Stephanie Spahr

Besonders problematisch sind organische Schadstoffe wie Arzneimittelrückstände, Pestizide, Haushalts- und Industriechemikalien oder Schadstoffe von Kraftfahrzeugen, die durch unzureichend geklärte Abwässer, Niederschlagsabflüsse, überlaufende Mischkanalisationen oder Leckagen in die Gewässer gelangen. „Viele dieser synthetischen Chemikalien verbleiben im Wasserkreislauf und stellen eine Gefahr für Wasserorganismen dar“, sagt Spahr. Welche Schadstoffgemische in einem Teich vorkommen, ist dabei weitgehend unbekannt und hängt von der Landnutzung, den Zuflüssen und jahreszeitlichen Schwankungen ab.

Kann die Anpassung an chemische Verschmutzung die Resilienz des ganzen Systems stärken?

Der urbane Chemikaliencocktail kann die ökologische Artenzusammensetzung drastisch verändern, da einige Organismen empfindlicher auf chemischen Stress reagieren als andere. „Wichtig ist, dass sich Populationen von Mikroorganismen und Zooplankton auch evolutionär anpassen und Toleranzen entwickeln können – das heißt, sie passen ihre Eigenschaften an, um mit der lokalen chemischen Verschmutzung zurechtzukommen“, erklärt die Ökologin und Mathematikerin Lynn Govaert und fügt hinzu: „Diese ökologischen und evolutionären Prozesse können dann dynamisch interagieren und die Funktionsweise und die Ökosystemleistungen von Gewässern beeinflussen, wie etwa die Wasserqualität und die Selbstreinigungskraft.“

Lynn Govaert

© David Ausserhofer/IGB

„Populationen von Mikroorganismen und Zooplankton können sich evolutionär anpassen und Toleranzen entwickeln – das heißt, sie passen ihre Eigenschaften an, um mit der lokalen chemischen Verschmutzung zurechtzukommen.“

Dr. Lynn Govaert 

Wenn also funktionale Schlüsselarten – wie Wasserflöhe – in der Lage sind, sich evolutionär schnell anzupassen, könnte dies die Widerstandsfähigkeit urbaner Ökosysteme stärken und Störungen abfedern. „Wir wissen bereits, dass Teiche wichtige naturbasierte Lösungen für klimaresiliente Städte sind, indem sie zum Beispiel Wasser zurückhalten oder einen Kühleffekt entfalten. Aber wie genau sich evolutionäre und ökologische Reaktionen auf chemische Belastungen in diesen Systemen gegenseitig beeinflussen, ist ein relativ neues Forschungsgebiet“, sagt die IGB-Gruppenleiterin.

Insgesamt wirken sieben IGB-Forschungsgruppen am Projekt mit. Beteiligt sind außerdem die Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft (ARL), das Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie (ATB) sowie das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) und die University of Iowa.

Noch mehr innovative Forschungsansätze: Mikroplastik und Cyanobakterien 

An guten Ideen und Neugier mangelt es den Forschenden am IGB grundsätzlich nicht: Auch die anderen Projektvorschläge fanden intern Anklang. IGB-Forscherin Justyna Wolinska will mit ihrem Team untersuchen, wie sich die zunehmende Verschmutzung mit Mikroplastik nicht nur auf einzelne Zielarten, sondern auf die Funktionsweise und die Stabilität ganzer Ökosysteme auswirken könnte. Und ein IGB-Team um Sabine Hilt möchte eine globale Feldstudie durchführen, um zu erkunden, wie weit pflanzenassoziierte Cyanobakterien verbreitet sind, welche Gesundheitsrisiken von ihnen ausgehen und welche Gegenmaßnahmen geeignet sind. Beide Teams erhielten ein Startkapital, um ihre Projektskizzen weiter auszuarbeiten oder erste kleinere Untersuchungen durchzuführen.

Und noch etwas galt somit für alle Projekte, die es intern in die engere Auswahl schafften: Sie wurden von Wissenschaftlerinnen eingereicht. Wir freuen uns über so viel Forscher(*innen)drang, der auch die wachsende Zahl von Gruppenleiterinnen am Institut widerspiegelt! 

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Lust, Teil dieses neuen Projekts POUNDER zu werden? Wir suchen drei Doktorand*innen sowie eine*n Postdoktorand*in mit Start im März 2024 oder kurz danach! Hier geht es zu den aktuellen Stellenausschreibungen >

Ansprechpersonen

Lynn Govaert

Forschungsgruppenleiter*in
Forschungsgruppe
Ökoevolutionsdynamik

Stephanie Spahr

Programmbereichssprecher*in
Forschungsgruppe
Organische Schadstoffe