Blitzlicht
Nadja Neumann

Rote Liste der IUCN: Ein Viertel der Tierarten im Süßwasser ist vom Aussterben bedroht

Die bisher größte weltweite Bewertung von Süßwassertieren für die Rote Liste der bedrohten Arten der Weltnaturschutzunion (IUCN) hat ergeben, dass 24 Prozent der Süßwasserfische, Libellen, Krebse und Garnelen akut vom Aussterben bedroht sind. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht. Wanderfische wie die Störe haben diese Verluste bereits vor Jahrzehnten erlitten. Seitdem hat sich an der Bewirtschaftung der Gewässer zum Schutz der Artenvielfalt kaum etwas verbessert. Dies betont Dr. Jörn Geßner, Mitautor der Studie vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB).

Ein Baltischer Stör. Diese Wanderfischart war früher in Deutschland heimisch und gilt heute als ausgestorben. Das IGB koordiniert die Wiederansiedlung dieser faszinierenden Fische. | Foto: Solvin Zankl

Binnengewässer wie Seen, Flüsse, Teiche, Bäche und Moore beherbergen zehn Prozent aller bekannten Tierarten auf der Erde. Die in Nature veröffentlichte Studie unter Leitung der IUCN zeigt, dass mindestens 4.294 der 23.496 Süßwasserarten laut Roter Liste der IUCN akut vom Aussterben bedroht sind. Am stärksten bedroht sind der Studie zufolge die Zehnfußkrebse, 30 Prozent der untersuchten Arten sind akut gefährdet. Bei den Süßwasserfischen sind es 26 Prozent, bei den Libellen 16 Prozent.

Ursachen für den Artenverlust: Neben Wassermangel oder Nährstoffbelastung vor allem Lebensraumverlust und Querverbauung von Fließgewässern

Die Studie zeigt auch, dass Kriterien wie die Wasserverfügbarkeit oder die Nährstoffbelastung keine verlässlichen Vorhersagen über den Gefährdungsgrad aquatischer Lebewesen zulassen. Gebiete mit hohem Wasserstress (d.h. hoher Wasserbedarf und geringes Wasserdargebot) oder mit hoher Nährstoffbelastung (sog. Eutrophierung) weisen keinen höheren Anteil gefährdeter Arten auf, als Gebiete mit geringerem Wasserstress und weniger Eutrophierung. Dies deutet darauf hin, dass neben diesen beiden Faktoren noch andere Ursachen für den Biodiversitätsverlust eine Rolle spielen. Das haben auch andere Studien bereits gezeigt. Dazu zählen vor allem der Verlust von Lebensräumen, die Einschleppung invasiver, gebietsfremder Arten und die Querverbauung von Fließgewässern durch Wasserkraftanlagen.

Störe als Wanderfische, schon seit Jahrzehnten weltweit stark bedroht, dienen als Schirmarten 

Wanderfische wie der Stör sind bereits seit Jahrzehnten weltweit stark bedroht. In Deutschland lebten bis ins 19. Jahrhundert noch sechs Störarten, zwei davon in den Zuflüssen von Nord- und Ostsee. Seit 40 Jahren gelten sie als ausgestorben. Der Verlust von Lebensräumen und Laichgebieten sowie der Querverbau von Gewässern haben zu diesem Rückgang geführt. 

Als größter heimischer Süßwasserfisch ist der Stör in Deutschland eine Schirmart, die eine Vielzahl von Lebensräumen nutzt und hohe Ansprüche an das Management der Gewässer stellt. Die zur Wiederansiedlung notwendigen Gewässerschutzmaßnahmen würden auch anderen Süßwasserarten zugute kommen und deren Lebensbedingungen verbessern.

Dr. Jörn Geßner ist Mitautor der Studie. Er koordiniert am IGB das Projekt zur Wiederansiedlung der Störe in Deutschland und ist an zahlreichen internationalen Wiederansiedlungsprojekten für Störe beteiligt. Er sagt: „Die aktuell beschriebene Krise der Süßwasserfauna wirft ein düsteres Licht auf den Umgang des Menschen mit den natürlichen Ressourcen. Das Ergebnis ist nicht überraschend. Ohne ein Umdenken in der Bewirtschaftung der Süßwasserressourcen und ohne einen wirksamen, prioritären Natur- und Artenschutz wird sich der hier beschriebene Trend weiter verstärken und die Artenvielfalt rapide abnehmen. Nur mit einem wirksamen Schutz der Lebensräume kann der Artenschutz langfristig erfolgreich sein. Leider ist in vielen Köpfen noch nicht angekommen, dass wir dabei sind, nicht irgendwelche Arten, sondern unsere Lebensgrundlagen zu zerstören.“

Die Pressemitteilung der IUCN lesen >

Den Fachartikel in Nature (Open Access) lesen >

Ansprechpersonen

Jörn Gessner

Forschungsgruppenleiter*in
Forschungsgruppe
Wiedereinbürgerung atlantischer Störe in Deutschland