Pressemitteilung
Nadja Neumann

Nicht nur Schiffe, auch viele Fische nutzen den Panamakanal

Invasive Raubfische aus dem Meer
Jährlich durchqueren 14.000 Schiffe den Panamakanal. Aber auch für invasive Fischarten ist er eine potenzielle Passage von einem Ozean in den anderen. Forschende des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), der FU Berlin, des Smithsonian Tropical Research Institute in Panama und der US-amerikanischen Harvard University haben die Fischgemeinschaften des Gatúnsees im Wasserkorridor des Panamakanals vor und nach der Kanalerweiterung 2016 verglichen. Dabei stellten sie fest, dass seit den umfangreichen baulichen Veränderungen am Schleusensystem des Kanals deutlich mehr marine Fischarten in den Süßwassersee gelangen, darunter vor allem große Raubfische. Die eingewanderten Arten machen inzwischen 76 Prozent des Fischbestandes aus, wodurch sich das Nahrungsnetz im See verändert, was sich wiederum stark auf die lokale Fischerei auswirkt. Außerdem steigt das Risiko, dass einige Arten den Kanal komplett durchqueren und den gegenüberliegenden Ozean besiedeln.
Luftaufnahme über den Gatúnsee

Eingang des Atlantikkanals vom Gatúnsees aus. | Foto: Gustavo A. Castellanos-Galindo

Die Seeschifffahrt ist einer der wichtigsten Verbreitungswege für gebietsfremde Arten. Dennoch wurden durch den Panamakanal in der Vergangenheit nur relativ wenige Fischarten von einem Ozean in den anderen eingeschleppt. Vor allem eine weiche Barriere innerhalb des Kanals – der Süßwassersee Gatún – hinderte Fische erfolgreich daran, weiter zu wandern. Mit der Erweiterung des Panamakanals im Jahr 2016 wurden jedoch umfangreiche bauliche Veränderungen am Schleusensystem vorgenommen, die die Invasion mariner Fische in den Panamakanal erleichtern könnten, so die Hypothese eines Forschungsteams aus Panama, Deutschland und den USA. Denn die neuen Schleusen für die Durchfahrt von Megaschiffen sind größer als die alten. Jedes Mal, wenn ein Schiff hindurchfährt, fließt also mehr Süßwasser ins Meer, mehr Meerwasser schwappt hinein – und damit womöglich auch mehr Meeresfische.

Die Forschenden verglichen die Fischpopulationen vor (2013-2016) und nach (2019-2023) dem Ausbau des Kanals. Dazu nutzten sie eine einzigartige Langzeitreihe wissenschaftlicher Fangdaten zu Anzahl, Biomasse und räumlicher Verteilung der verschiedenen Arten. „Der Panamakanal hat das Potenzial, die marine Flora und Fauna des Atlantiks und des Pazifiks zu verbinden, die seit drei Millionen Jahren voneinander getrennt sind. Vor dem Ausbau des Kanals war dieses Potenzial relativ gering. Jetzt sieht es so aus, als ob die Durchlässigkeit des Kanals für interozeanische Invasionen zunimmt“, sagt Gustavo A. Castellanos-Galindo. Er ist einer der beiden Erstautoren der Studie und forscht am IGB, der FU Berlin und dem Smithsonian Tropical Research Institute.

Nach der Kanalerweiterung: Anteil der Meeresfischarten an Gesamtmasse von 26 auf 76 Prozent gestiegen

Seit 2016 hat sich die Zusammensetzung der Fischgemeinschaften des Gatúnsees nämlich deutlich verschoben: von Süßwasserarten hin zu mehr marinen Fischen. Vor der Kanalerweiterung machten die marinen Fische nur 26 Prozent aus, nun sind es 76 Prozent der Gesamtmasse an Fischen. Von den marinen Arten stammen 18 Arten aus dem Atlantik und fünf aus dem Pazifik. Die Biomasse der Fischgemeinschaft des Sees bestand vor 2016 zu etwa 57 Prozent aus gebietsfremden Süßwasserfischen, insbesondere einem südamerikanischen Buntbarsch (Cichla ocellaris var. monoculus) und dem Nil-Tilapia (Oreochromis niloticus), während einheimische Süßwasserfische nur 17 Prozent ausmachten. Nach der Erweiterung des Kanals machen einheimische und gebietsfremde Süßwasserfischarten nur noch 11 bzw. 13 Prozent der Gesamtfischbiomasse aus.

Große Raubfische aus dem Meer verändern das Nahrungsnetz und damit die Fischbestände für die lokale Fischerei

Die Forschenden untersuchten auch funktionelle Gruppen. Dabei wurden die Fischarten zusammengefasst, die Umweltressourcen auf ähnliche Weise nutzen. Auf diese Weise lässt sich der Einfluss der veränderten Fischgemeinschaft auf das Ökosystem besser abschätzen. Das Team fand 15 neue funktionelle Gruppen in der Fischgemeinschaft des Gatúnsees nach dem Ausbau des Kanals. Die (gewichtsmäßig) repräsentativste Gruppe sind große Raubfische, die im Freiwasser leben, wie der Atlantische Tarpun (Megalops atlanticus). Umgekehrt fehlen acht funktionelle Gruppen aus der Zeit vor der Erweiterung: Sie entsprechen überwiegend einheimischen Süßwasserfischarten von meist geringer Größe, die sich detritivor – also von zerkleinertem organischem Material – ernähren oder Allesfresser sind, zum Beispiel Brycon petrosus. „Das Nahrungsnetz im Gatúnsee wird durch die neuen marinen Fischarten enorm verändert. Das hat auch starke Auswirkungen auf die lokale Fischerei“, sagt Prof. Jonathan Jeschke, Mitautor der Studie und Wissenschaftler am IGB und der FU Berlin.

Gefahr der interozeanischen Einschleppung von Arten

Die Forscherinnen und Forscher untersuchten auch das Risiko, das diese Veränderungen für die mögliche Einschleppung interozeanischer Arten darstellen. „Die Zunahme von Meeresorganismen in diesem Wasserkorridor steigert die Wahrscheinlichkeit, dass einige Arten den Kanal passieren und den gegenüberliegenden Ozean besiedeln. Da es sich bei den meisten dieser Meeresfische um Spitzenprädatoren mit einem breiten Nischenspektrum handelt, wird ihre Besiedlung des Atlantiks und des Pazifiks wahrscheinlich die ökologischen Wechselwirkungen verändern und möglicherweise zu Veränderungen auf Ökosystemebene führen“, sagt Gustavo A. Castellanos-Galindo.

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