
Der Versuch zum Skyglow im IGB Seelabor. | Foto: Andreas Jechow
Jeder kennt sie: die Lichtglocke, die weithin sichtbar anzeigt, wo Städte nachts hell erleuchtet sind. Künstliches Licht, das in der Atmosphäre gestreut wird und so den Nachthimmel aufhellt, kann weit entfernt von seinem Emissionsort wirken. Dieses Phänomen wird auch als künstliches Himmelsleuchten oder Skyglow bezeichnet. Skyglow kann die biologische Vielfalt über große Entfernungen hinweg beeinträchtigen.
„Die Auswirkungen von Skyglow auf Seen und Flüsse waren bisher weitgehend unbekannt. Wir wissen aber, dass auch Seen und ihre Lebewesen einem Tag-Nacht-Rhythmus unterliegen. In unserer Studie konnten wir nun zeigen, dass das künstliche Licht in der Nacht die Vermehrung von Cyanobakterien fördert. Diese Mikroorganismen sind auch als Blaualgen bekannt und können giftige Stoffe bilden. Außerdem wird durch Skyglow der Kohlenstoffkreislauf im Gewässer anregt“, sagt IGB-Forscher Prof. Hans-Peter Grossart, der die Studie geleitet hat.
Das Forschungsteam nutzte für das Experiment das einzigartige Seelabor im Stechlinsee. Das Seelabor kann man sich als experimentelle Seen im See vorstellen: 24 Versuchszylinder, die jeweils ein Wasservolumen von knapp 1.300 Kubikmetern umschließen und vom Rest des Sees abtrennen. Die im Wasser schwebenden Organismen – Algen, Bakterien und andere Einzeller, Pilze und Kleinkrebse – waren zu Beginn des Experiments in allen Versuchszylindern annähernd gleich verteilt. Zehn der 15 Versuchszylinder wurden einen Monat lang nachts mit einem speziell entwickelten Beleuchtungssystem bei Beleuchtungsstärken entsprechend 0,06 Lux (typischer Skyglow) bis 6 Lux (höchstes bisher dokumentiertes Skyglow-Niveau) schwach beleuchtet; fünf Kontrollbecken blieben unbeleuchtet. Dies war das bisher größte Freilandexperiment zur Lichtverschmutzung in Seen. „Das Seelabor bietet für ein solches Großexperiment ideale Bedingungen, weil durch den Vergleich der Reaktion von beleuchteten und unbeleuchteten Versuchszylindern Ursache-Wirkungsbeziehungen unter komplexen Freilandbedingungen festgestellt werden können“, sagt IGB-Forscher Prof. Mark Gessner, Mitautor der Studie und einer der beiden Leiter des durch die Leibniz-Gemeinschaft geförderten Projekts zur Erforschung von Lichtverschmutzung auf Seen.
Deutliche Zunahme von Cyanobakterien durch nächtliches Licht
Das Forschungsteam untersuchte die Zusammensetzung der Bakteriengemeinschaften im Gewässer und deren Stoffumsetzungen. In Seen vollzieht sich der Stoffumsatz in einem Kreislauf von Biomasseproduktion, Verzehr und Zersetzung. Algen, Wasserpflanzen und bestimmte Bakterien nutzen als Primärproduzenten das Sonnenlicht zur Photosynthese, um aus anorganischen Stoffen Biomasse zu bilden. Diese dient verschiedenen Organismen als Nahrungsgrundlage und wird schließlich von so genannten Destruenten wieder in anorganische Stoffe umgewandelt. So entsteht ein Stoffkreislauf, der die Verfügbarkeit von Ressourcen im Ökosystem See aufrechterhält – und der sich durch künstliche Helligkeit in der Nacht verändert.
Bakterien spielen sowohl als Primärproduzenten als auch als Destruenten eine wichtige Rolle in Ökosystemen. Die Häufigkeit von Cyanobakterien und anderen Bakterien, die Lichtenergie nutzen – darunter vor allem so genannte Anaerobe Anoxygene Phototrophe (AAP) – war unter den beleuchteten Bedingungen im Vergleich zu den Kontrollen durchschnittlich um das 32-fache erhöht. Auch wenn die Zahlen je nach Versuchsbecken schwankten, war das Ergebnis eindeutig. „Dieser Anstieg hat uns überrascht, weil die Strahlung eigentlich zu gering ist, um die Photosynthese der Cyanobakterien anzukurbeln. In unseren Experimenten reichten schon sehr niedrige Lichtintensitäten von 0,06 Lux wie bei typischem Skyglow, um Veränderungen auszulösen“, erklärt IGB-Forscherin Dr. Stella Berger, Mitautorin und Phytoplanktonexpertin.
Der Kohlenstoffkreislauf des Sees wird angeregt
Unter Skyglow veränderten sich im Experiment die Bakteriengemeinschaften und damit auch Stoffumsetzungen, wie genetische Analysen der Lebensgemeinschaften und massenspektrometrischen Analysen der gelösten Inhaltsstoffe in Wasserproben zeigten. Dabei wurde deutlich, dass Skyglow beispielsweise den bakteriellen Abbau von durch Algen gebildete organische Substanz steigert und insgesamt den Kohlenstoffkreislauf im See anregt.
Lichtverschmutzung als Einflussfaktor auf Gewässer berücksichtigen
„Eine Beleuchtungsstärke von 0,06 Lux stellt in etwa die Beleuchtungsstärke dar, der Organismen im Bereich städtischer Lichtglocken großflächig ausgesetzt sein können“, ergänzt IGB-Forscher Dr. Franz Hölker, Mitautor der Studie, ebenfalls Leiter des Projekts und Experte für Lichtverschmutzung am IGB. Angesichts der dramatisch zunehmenden Lichtverschmutzung weltweit könnte eine der Konsequenzen sein, dass das Risiko für potenziell giftige Cyanobakterien-Blüten wächst, so die Forschenden. Bei Algenblüten, die nicht erklärt werden können, sollte deshalb Lichtverschmutzung als möglicher Mitauslöser stärker als bisher in Betracht gezogen werden. Für die Früherkennung bieten sich dafür unter anderem Fernerkundungsmethoden mit Hilfe von Satelliten, Flugzeugen und Drohnen an.