Pressemitteilung
Nadja Neumann

Invasion der Vielfresser

Den Kampf ums Futter gewinnen die Neozoen
Eine Metaanalyse wissenschaftlicher Studien, erschienen in Biological Reviews unter Federführung der Universidade Federal do Paraná, Brasilien, und Beteiligung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), hat untersucht, wie sich gebietsfremde von heimischen Arten in der Nutzung von Nahrungsressourcen unterscheiden. Die Analyse zeigt, dass die maximalen Fraßraten der gebietsfremden Arten in den untersuchten Fällen durchschnittlich um 70 Prozent höher lagen als die ihrer heimischen Gegenparts. Dieses Phänomen ist bei Süßwasserarten besonders ausgeprägt und könnte ein wesentlicher Grund für die starken Auswirkungen invasiver Arten auf die Biodiversität sein. Ein Experiment im Rahmen einer weiteren, in NeoBiota veröffentlichten Studie unter Federführung des IGB, hat den Kampf ums Futter zwischen invasiven und heimischen Süßwasserkrebsen nachempfunden. Das Ergebnis: Sieger im Ring ist – dank Schnelligkeit und aggressiverem Verhalten – der invasive Flohkrebs Gammarus tigrinus.

Der Nilbarsch (Latus niloticus) ist ein prominentes Beispiel einer Süßwasserfischart, die das Nahrungsnetz ihres neuen Lebensraums, und damit die Biodiversität, grundlegend verändert hat. | Foto: shutterstock_1545347963

Um neue Lebensräume zu besiedeln müssen gebietsfremde Arten über besondere Anpassungs- und Konkurrenzfähigkeiten verfügen. Erfolgreichen invasiven Arten wird eine höhere Nutzungseffizienz von Ressourcen zugeschrieben als einheimischen Arten, die an einer ähnlichen Position im Nahrungsnetz stehen. Das Forschungsteam unter Leitung der brasilianischen Bundesuniversität von Paraná hat diese Hypothese in einer globalen Metaanalyse von so genannten vergleichenden funktionellen Reaktionsstudien quantitativ überprüft. Darunter versteht man Studien, die vergleichen, wie viel Nahrung pro Zeiteinheit bei unterschiedlichen Nahrungsdichten gefressen wird.

„Nicht alle Arten, die in neue Lebensräume eingeführt werden, richten Schaden an. Um mögliche Folgen für die Biodiversität abschätzen zu können, ist es wichtig, diejenigen gebietsfremden Arten zu identifizieren, die auch signifikante negative Auswirkungen haben. Hohe Fraßraten sind dafür ein wichtiges Maß, denn wenn gebietsfremde Arten andere Arten in großem Umfang fressen, kann dies weitreichende Folgen für die Artenzusammensetzung und die Ökosysteme haben“, sagt IGB-Forscher Prof. Jonathan Jeschke, einer der Autoren der beiden Studien.

70 Prozent höhere Verzehrraten bei invasiven Arten

Die maximalen Verzehrraten der gebietsfremden Arten in den untersuchten Studien waren im Durchschnitt 70 Prozent höher als bei den einheimischen Arten. Die Größenordnung der maximalen Verzehrraten variierte je nach Artengruppe und funktioneller Nahrungsgruppe, also beispielsweise ob Pflanzenfresser, Fleischfresser, etc. Besonders große Unterschiede zwischen gebietsfremden und einheimischen Arten fanden die Forschenden bei Süßwasserarten. „Dies könnte die Empfindlichkeit isolierter Süßwassernahrungsnetze gegenüber neuen Konsumenten widerspiegeln“, sagt Dr. James Dickey, ebenfalls IGB-Forscher und an beiden Studien beteiligt.

Ein prominentes Beispiel ist die Einführung des Nilbarsches (Lates niloticus) in den Viktoriasee in den 1960er Jahren, die zum Aussterben von Dutzenden endemischer Buntbarscharten führte. Der Konkurrenzdruck um Ressourcen durch invasive Arten und die damit verbundene Störung ökologischer Nahrungsnetze wird voraussichtlich weltweit immer mehr zum Artensterben beitragen, insbesondere weil vielerorts die Lebensräume und damit auch die Nahrungsgrundlagen schrumpfen, so die Autor*innen.

Kampf ums Futter bei Flohkrebsen

In einem Experiment haben die Forschenden des Teams diesen Kampf um Nahrung an zwei Gammaridenarten genauer untersucht. Einige Gammariden aus der Familie der Flohkrebse sind dominante und ökologisch wichtige Arten. Sie sind zudem besonders erfolgreich, sich neue Verbreitungsgebiete zu erschließen, vor allem in Europa. Über die Konkurrenz mit einheimischen Arten ist bisher jedoch wenig bekannt.

Die Forschenden haben den nordamerikanischen Gammarus tigrinus gegen den einheimischen europäischen Gammarus duebeni in einem Kampf um Zuckmückenlarven antreten lassen. In den inszenierten Zweikämpfen wurden Individuen des einheimischen und des invasiven Flohkrebses in die Versuchsarena mit der Nahrungsquelle gesetzt. Konkurrenten der gleichen oder der anderen Art kamen hinzu, sobald das erste Individuum die Nahrung in Beschlag genommen hatte bzw. 20 Minuten später.

Der invasive Flohkrebs sichert sich die Beute schneller und verteidigt sie stärker 

Der invasive Flohkrebs schnappte sich die Mückenlarve in den ersten 20 Minuten mit höherer Wahrscheinlichkeit und schneller als der einheimische Flohkrebs. In dieser Zeit war die invasive Tierart auch entdeckungsfreudiger und verbrachte weniger Zeit in der äußeren Zone des Beckens. Mit zunehmender Größe und Masse zeigte sie aggressivere Interaktionen und mehr Aktivität. Der invasive Gammarus tigrinus verlor seine Beute mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit an Artgenossen als an den einheimischen Gammarus duebeni. Gammarus duebeni hingegen verlor seine Beute mit ähnlicher Wahrscheinlichkeit an den invasiven Konkurrenten oder an seine Artgenossen. „Insgesamt deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass das hier gezeigte Verhalten und die Konkurrenzfähigkeit von Gammarus tigrinus seine Invasion erleichtern“, sagt Julian Zeller, der zusammen mit James Dickey Erstautor der Studie ist. Er ist Masterstudent an der Freien Universität Berlin.

Erkenntnisse für das Management invasiver Arten

Die Einschleppung und Ausbreitung invasiver Arten zu verhindern, gilt als die wirksamste Maßnahme, um sozioökologische Auswirkungen abzumildern. Die Kosten für ein Management vor der Invasion sind bis zu 25 Mal niedriger als die Kosten für ein Management nach der Invasion. „Vergleiche zu den Verzehrraten könnten gerade bei kleineren Tieren wie Wirbellosen – deren Auswirkungen ansonsten oft schwer abzuschätzen sind – ein hilfreiches Instrument des präventiven Monitorings sein“, sagt James Dickey.

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Befragungsstudie von lokalen Managern zu invasiven Arten 

Die Studie ist die erste ihrer Art, die einen Überblick über die Ansichten von Akteur*innen zum Umgang mit invasiven Arten auf lokaler und regionaler Ebene in ganz Europa gibt. Mehr als 1.900 Personen aus 41 Ländern nahmen daran teil, wobei die Mehrheit (68%) aus EU-Mitgliedstaaten stammte. Die Befragten berichteten übereinstimmend über steigende Tendenzen bei der Anzahl, der Fläche und den Auswirkungen invasiver Arten, trotz laufender Managementbemühungen. Lokale Managementmaßnahmen allein können dieses globale und vernetzte Problem nicht angemessen angehen. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, die vertikale (zwischen lokalen Managern und politischen Entscheidungsträgern) und horizontale (zwischen Ländern) Zusammenarbeit in ganz Europa zu fördern. 

Selected publications
Januar 2025

Management Measures and Trends of Biological Invasions in Europe: A Survey-Based Assessment of Local Managers

Carla Garcia-Lozano; Josep Pueyo-Ros; Quim Canelles; Guillaume Latombe; Tim Adriaens; Sven Bacher; Ana Cristina Cardoso; Michelle Cleary; Lluís Coromina; Franck Courchamp; Wayne Dawson; Maarten de Groot; Franz Essl; Belinda Gallardo; Marina Golivets; Erja Huusela; Miia Jauni; Sven D. Jelaska; Jonathan M. Jeschke; Stelios Katsanevakis; Melina Kourantidou; Ingolf Kühn; Bernd Lenzner; Brian Leung; Elizabete Marchante; Colette O'Flynn; Cristian Pérez-Granados; Jan Pergl; Pavel Pipek; Cristina Preda; Filipe Ribeiro; Helen Roy; Riccardo Scalera; Menja von Schmalensee; Hanno Seebens; Róbert A. Stefánsson; Barbara Tokarska-Guzik; Elena Tricarico; Sonia Vanderhoeven; Vigdis Vandvik; Montserrat Vilà; Núria Roura-Pascual
Global Change Biology. - 31(2025)1, Art. e70028
Forschungsgruppe(n)