Bundesumweltministerin Steffi Lemke: „Die Oder ist ein einzigartiges Ökosystem, das nicht zuletzt durch die Umweltkatastrophe im Sommer 2022 massiv geschädigt wurde. Nach wie vor sind Renaturierungsmaßnahmen von zentraler Bedeutung, um das sensible Ökosystem wiederherzustellen und besser zu schützen. Die Oder ist gleichzeitig der geeignetste Lebensraum, um dem Baltischem Stör, einem imposanten und in Europa verschollenem Wanderfisch, eine neue Zukunft zu schaffen. Wir unterstützen deshalb nicht nur die Wiederansiedlung des Baltischen Störs, gleichzeitig ist Renaturierung die beste Vorsorge, um das Ökosystem Oder gegen die Folgen der Klimakrise widerstandsfähiger zu machen.“
IGB-Forscher Dr. Jörn Geßner: „Damit die Störe dann auch die Bedingungen vorfinden, die sie für eine erfolgreiche Fortpflanzung brauchen, müssen wir jetzt die richtigen Weichen stellen. Dazu gehört, das Angebot an Laich- und Brutaufwuchsgebieten – wie Kies- und Sandbänke und angebundene Nebengewässer – in der Oder zu erhalten und wo nötig wiederherzustellen. Davon würde nicht nur der Stör profitieren, sondern mit ihm auch viele weitere typische Fischarten und Flusslebewesen.“
Nationalparkleiter Dirk Treichel: „Hier im Nationalpark sehen wir, wie ein naturnaher Fluss mit einer typischen, intakten Aue aussehen kann. Der Nationalpark Unteres Odertal ist mit seinen naturgemäßen Überflutungsflächen und seinem strengen Schutzstatus seit Beginn des Wiederansiedlungsprojekts ein besonderer Schwerpunktraum. Nicht nur Störe, auch z.B. die Grüne Flussjunger, eine Libellenart, haben hier übrigens ihren Lebensraum. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, diese Flächen zu bewahren, statt sie durch den Ausbau des Flusses für die Schifffahrt zu gefährden.“
Seit 2007 hat das IGB mit zahlreichen Projektpartnern rund 3,5 Millionen Jungtiere des Baltischen Störs (Acipenser oxyrinchus) in die Oder entlassen. Heute sind 600 weitere Tiere hinzugekommen. Sie sollen helfen, die einst hier ausgestorbene Art wieder im Fluss und in der Ostsee anzusiedeln.
Geschlüpft sind die kleinen Wanderfische in Mecklenburg-Vorpommern bei der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei (LFA), aufgezogen wurden sie in Stationen auf dem Darß und am Rande des Nationalparks Unteres Odertal bei Angermünde. Dort können sich die Tiere an ihren neuen Lebensraum und schwankende Umweltbedingungen gewöhnen. „Möglichst variable Aufzuchtbedingungen sorgen für eine hohe Anpassungsfähigkeit und die Nutzung des Flusswassers hilft den Tieren, sich ihren Heimatfluss einzuprägen“, erklärt Jörn Gessner.
Nach dem Besatz durchqueren die kleinen Störe auf ihrem Weg in die Ostsee auch das Stettiner Haff. Dort wachsen sie heran, bis sie ihre Reise fortsetzen, denn die besondere Fähigkeit der Störe, im Süß- und Salzwasser zu überleben, hängt von ihrer Körpergröße ab. Das macht das Haff für die Tiere zu einem wichtigen Teil ihres Lebensraums; hier ist das Nahrungsangebot groß, wodurch die Störe schneller wachsen. Zudem können sich die Tiere hier langsam an die steigenden Salzgehalte anpassen, die sie in der Ostsee erwarten. Im Alter von ein bis drei Jahren ziehen sie in die Ostsee weiter und kehren erst mit 14 bis 16 Jahren zum Laichen in ihren Heimatfluss zurück.
Neues Forschungsprojekt verfolgt Wege der Störe im Haff
Ein neues Projekt mit dem Titel „HaffStör“, das vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des Bundesumweltministeriums (BMUV) in den nächsten drei Jahren gefördert wird, soll die Wiederansiedlungsbemühungen nun zusätzlich mit einer soliden Datenbasis unterstützen: Um besser nachvollziehen zu können, wann und auf welchen Wegen die Tiere in die Ostsee abwandern und wann sie gegebenenfalls wieder zurückkehren, sollen die seltenen Fische mit Sendern versehen werden. Dabei soll auch der Einfluss von Stör-Beifängen der Stellnetzfischerei im Haff erfasst und zur Entwicklung von Beifang-mindernden Fischereitechniken beitragen.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke: „Das neue Projekt „HaffStör“ leistet einen wichtigen Beitrag, um das Wissen zur Ökologie der Störe zu verbessern und nachhaltige Fischerei zu unterstützen. Damit bringen wir den Artenschutz und die Nutzung der natürlichen Ressourcen in Einklang. Die Fischereibetriebe selbst sind wichtige Partner in diesem Vorhaben, denn Naturschutz kann letztlich nur gemeinsam mit den Menschen vor Ort gelingen.“
Einfach ist die Analyse von Fischbewegungen im Wasser allerdings nicht: Während sich Landlebewesen mit GPS-Technik gut verfolgen lassen, gibt es für den Einsatz unter Wasser keine ähnlich hochauflösenden Methoden. Unter der Wasseroberfläche versagt die GPS-Ortung. Deshalb nutzen die Forschenden die akustische Telemetrie mit Unterwasser-Hydrophonen, um die Wanderungen der Störe zu erfassen.
Partner des neuen Projekts sind neben dem IGB auch das Institut für Fischerei der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei Mecklenburg-Vorpommern (LFA), die Universität Stettin, die lokale Fischerei und der polnische Anglerverband in Westpommern sowie deutsche und polnische Umweltverbände.
Renaturierung als Krisenvorsorge
Langfristig sollten weitere Nebengewässer der Oder mit dem Fluss verbunden werden, um vielfältigere Lebensräume und Refugien zu schaffen, deren Produktivität und Diversität sich auch positiv auf den Hauptstrom auswirken dürften. Wichtig ist zudem der Wasserrückhalt in den naturnahen Flussauen der Oder – nicht nur als Wasserspeicher für den Fluss und die ihn umgebende Landschaft, sondern auch als natürlicher Hochwasserschutz.
Renaturierung ist außerdem die beste Krisenprävention. Durch Übernutzung, die Folgen der Klimakrise und Ausbaumaßnahmen verlieren nicht nur Flussfische ihre Laich- und Lebensräume, sondern der ganze Fluss seine Resilienz, also seine natürliche Widerstandskraft. Dem kann man mit einer deutlich erhöhten Vielfalt der Gewässerstruktur und der Artengemeinschaften entgegenwirken, nicht aber mit rein technischen Lösungen.
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