Auf den Jungfischen ruhen große Hoffnungen für den Artenschutz. Die meisten von ihnen sind zwischen 10 und 15, manche bis zu 60 Zentimeter lang. Sie stammen von 29 laichreifen Elterntieren des seltenen Baltischen Störs (Acipenser oxyrinchus) ab, die in Mecklenburg-Vorpommern an der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei (LFA) im Rahmen des Wiederansiedlungsprojekts gehalten und vermehrt werden.
Sobald aus ihren Eiern kleine Larven schlüpfen, wird der Störnachwuchs auf Aufzuchtstationen verteilt – wie die des NABU-Naturerlebniszentrums Blumberger Mühle. Davon gibt es gleich mehrere in Brandenburg und Polen. Zwei dieser Anlagen – in Friedrichsthal und in Widuchowa – werden mit Oderwasser betrieben, damit sich die Tiere besser an ihr neues Heimatgewässer gewöhnen können. Dieser Vorteil wurde ihnen im August 2022 zum Verhängnis: Beide Anlagen waren von der giftigen Alge Prymnesium parvum betroffen, die sich zuvor massenhaft in der Oder ausgebreitet hatte. Rund 20.000 Jungfische verendeten, weil es am Fluss kein funktionierendes Warnsystem gab.
Glück im Unglück für die Jungtiere in der Blumberger Mühle
In solchen Becken wachsen die Fische in Aufzuchtstationen heran. | Foto: © Nadja Wohlleben Photography
Die Tiere, die am Montag besetzt werden, schlüpften im Juli 2022. Sie hatten Glück im Unglück: In die Blumberger Mühle gelangte kein Oderwasser. Allerdings blieb lange unklar, ab wann die kleinen Störe wieder geeignete Lebensbedingungen in der Oder vorfinden würden. Deshalb mussten sie in der Anlage überwintern. Finanziert wurde diese ungeplante Zwischenhälterung durch die Gesellschaft zur Rettung des Störs e.V. mit Spendengeldern des WWF.
Nachdem die akute Gefährdung durch die toxische Algenblüte vorerst beendet ist, laufen die Besatzmaßnahmen mit Aktionen im gesamten deutschen Odergebiet wieder an. So findet am 8. Mai neben dem Besatz bei Stützkow eine zusätzliche Aktion der LFA bei Criewen statt. Schon seit 2007 besetzen die Partner jährlich Störe in die Oder – bisher insgesamt rund 3,5 Millionen Tiere, im gesamten Ostseeraum sind es inzwischen etwa 6 Millionen.
Dabei werden möglichst Fische unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Größe ausgewählt. „Während sich sehr junge Fische vermutlich besser an die Umweltbedingungen anpassen können, haben größere Tiere ein geringeres Risiko, Fressfeinden zum Opfer zu fallen, sodass ein Besatz mit weniger, aber größeren Tieren ähnliche Erfolgsaussichten bietet“, erklärt IGB-Forscher Dr. Jörn Geßner, der das Wiederansiedlungsprogramm koordiniert.
Lebensbedingungen in der Oder werden überwacht
IGB-Forscher Dr. Jörn Geßner befürchtet, dass sich das Fischsterben in der Oder wiederholen könnte. | Foto: © Nadja Wohlleben Photography
In der Oder müssen sich die kleinen Störe nicht nur vor Raubfischen wie Wels, Zander und Hecht in Acht nehmen. „Die größte Gefahr ist derzeit, dass sich das dramatische Fisch- und Muschelsterben vom Sommer 2022 wiederholt“, sagt Geßner.
Im Rahmen eines vom Bundesumweltministerium (BMUV) geförderten Sonderuntersuchungsprogramms analysieren IGB-Forschende deshalb u.a., unter welchen Bedingungen die Brackwasseralge Prymnesium parvum, von der immer noch geringe Dichten im Oderwasser nachgewiesen werden, Toxine produziert. Sie wollen außerdem herausfinden, wie sich unterschiedliche Mengen dieses Toxins auf die verschiedenen Lebensstadien des Störs, aber auch auf andere Fischarten, Muscheln und das Makrozoobenthos auswirken.
Parallel dazu nehmen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler regelmäßig Wasserproben und untersuchen sie auf Algen und Schadstoffe. „Dass der Besatz jetzt möglich ist, ist auch ein gutes Signal für das Vorkommen und die Fortpflanzung anderer wichtiger Flussfischarten. Eine erneute Algenblüte in der Oder ist jedoch nicht ausgeschlossen, denn die Belastung des Flusses mit Salzen und Nährstoffen ist nach wie vor zu hoch“, berichtet Jörn Geßner.
Ausbau von Fluss und Häfen setzt Störe zusätzlichen Gefahren aus
Im Laufe ihrer Wanderung drohen den Stören weitere anthropogene Gefahren, etwa durch die Fischerei, durch Kollisionen mit der Schifffahrt oder durch Saugbaggerarbeiten in der Fahrrinne des Flusses. Insbesondere durch den geplanten Ausbau der Oder geht den Stören und anderen Fischarten im Fluss Lebensraum verloren.
Auch das Haff ist betroffen: „Der Ausbau der Häfen zwischen Usedom und Stettin wird das Ökosystem langfristig stören", ist sich Störexperte Geßner sicher. „Wir rechnen beispielsweise mit massiven Veränderungen der Strömungsverhältnisse. Hinzu kommen eine erhöhte Sedimentfracht und ein verstärkter Salzwassereintrag infolge der Baumaßnahmen.“ Dies werde die Nutzung des Lebensraums im Haff beeinträchtigen und sich zudem auf die Wanderrouten der Tiere auswirken, die in den kommenden Jahren zum Laichen in die Oder zurückkehren sollen.
Besseres Monitoring geplant
Um zumindest kurzfristig die Verluste durch toxische Algenblüten oder andere im Wasser gelöste Gift- und Schadstoffe in den Aufzuchtanlagen zu vermeiden, soll die bisher mit Oderwasser gespeiste Anlage in Friedrichsthal mit einer zusätzlichen Wasseraufbereitung ausgestattet bzw. alternativ mit Brunnenwasser betrieben werden können.
Außerdem will das Team um Jörn Geßner mit regionalen Partnern, wie dem Institut für Fischerei der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei MV, dem WWF, dem NABU und Rewilding Oder Delta, ein telemetrisches Monitoring im Stettiner Haff aufbauen. Damit möchten sie feststellen, ob und wie die markierten Störe in die Ostsee abwandern und gegebenenfalls auch, wo und wann sie wieder zurückkehren.
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