Fokus
Nadja Neumann

„Das Seelabor schafft den Spagat zwischen Realitätsnähe und stringenten Versuchsbedingungen“

10 Jahre Seelabor
Das Seelabor des IGB im Stechlinsee, in dem „24 Seen im See“ installiert sind, ist weltweit einzigartig. In diesem Jahr feiert diese große experimentelle Anlage ihr 10-jähriges Jubiläum. Ein guter Grund, mit Mark Gessner, dem Leiter der Abteilung „Plankton- und Mikrobielle Ökologie“ am Stechlinsee und Initiator des Seelabors zurück und nach vorne zu blicken.

Foto: Andreas Jechow

Herr Gessner, Sie leiten seit 2011 die IGB-Abteilung am Stechlinsee, haben also kurz vor dem Bau des Seelabors dort ihre Arbeit aufgenommen. Die Antragstellung, Planung und Umsetzung haben Sie geleitet. Eine Mammutaufgabe gleich zu Beginn, oder?

Ja, das war in der Tat ein rasanter und im Rückblick äußerst erfreulicher Start. Denn die Idee, im Stechlinsee eine große Versuchsanlage zu installieren, war einer der Gründe, warum ich von der Eawag, dem nationalen Wasserforschungsinstitut in der Schweiz, nach Deutschland gewechselt bin. Wichtige und interessante Forschungsfragen mit Hilfe so einer Anlage zu beantworten, war schon eine sehr reizvolle Aufgabe. Das BMBF hat die Bedeutung der Idee erkannt und den Bau des Seelabors dann auch gefördert.

Was war die größte Herausforderung zu Beginn?

Eine besondere Herausforderung nach der Bewilligung unseres Antrags war die enge Zeitschiene. Wir mussten das Seelabor in etwas mehr als sechs Monaten technisch konzipieren, die europaweite Ausschreibung organisieren und die Anlage bauen. Das war nur dank der sehr effizienten Zusammenarbeit von BMBF, Projektträger, dem Forschungsverbund Berlin, der von uns beauftragten Firmen, allen voran der Fa. AGO in Berlin, und den Beteiligten vom IGB zu schaffen. Eine weitere wichtige Aufgabe war, alle Akteure in Behörden und Gesellschaft vor Ort von der Wichtigkeit des Seelabors zu überzeugen. Das hat sehr viel Kommunikation erfordert, die wir immer sehr offen angegangen sind. Das war aufwendig, aber ich denke, unsere Bemühungen haben die Verankerung des IGB in der Region nachhaltig gestärkt, obwohl es vor allem aus Naturschutzkreisen zum Teil sehr kritische Stimmen zum Seelabor gab.

Sie sprechen von kritischen Stimmen, um was ging es dabei?

Der Stechlinsee ist einer der schönsten Klarwasserseen Deutschlands. Viele der anfänglichen Befürchtungen waren in Sorge um den See begründet. Zum einen waren das ästhetische Bedenken: Wie würde so eine Anlage in der Natur zum Beispiel auf Erholungssuchende wirken? Zum anderen gab es Befürchtungen, dass Versuche im Seelabor negative Auswirkungen auf den Stechlinsee haben könnten. Das muss natürlich ausgeschlossen werden. Jedes einzelne unserer Vorhaben muss deshalb von den Behörden im Landkreis bewilligt werden. Es ist also – neben unserem eigenen ethischen Anspruch – eine unabhängige Instanz, die jedes der geplanten Experimente vorab eingehend prüft. Die Naturschutzverbände sind auch einbezogen. Außerdem wurden generelle Monitoringmaßnahmen und weitere Auflagen festgelegt, um die Entwicklung des Sees im direkten Umfeld des Seelabors dauerhaft im Auge zu behalten.

Und die ästhetischen Bedenken?

Interessanterweise haben wir von Beginn an neben vereinzelten negativen Stimmen sehr viel positive Resonanz. Das erfahren wir zum Beispiel an Veranstaltungen wie dem Tag der offenen Tür, den wir alle zwei Jahre durchführen. Ästhetischen Bedenken hören wir selten. Einige Besucher planen sogar Ferienreisen an den Stechlinsee extra wegen des Seelabors. Dazu trägt vielleicht das etwas futuristische Design bei, das sich allerdings nur auf Luftbildern und nicht vom Ufer aus oder auf dem Wasser erschließt. Viel wichtiger für die positiven Rückmeldungen ist aber vermutlich, dass sich die Anlage nur noch knapp über die Wasseroberfläche erhebt. Ursprünglich waren einmal Aufbauten von 4 Metern Höhe vorgesehen. Mit einer so massiven Struktur hat das Seelabor heute nichts zu tun. Trotzdem habe ich allergrößtes Verständnis für die Meinung, dass eine technische Anlage in einer Naturlandschaft wie im Stechlinseegebiet nicht ideal ist. Denn das Seelabor ist ja kein Kunstwerk wie die Floating-Piers-Installation von Christo und seiner Frau im oberitalienischen Iseosee vor einigen Jahren.

Warum braucht es diese Forschung an „Seen im See“?

Wir wollen verstehen, wie Seeökosysteme funktionieren – um Grundsätzliches über die Natur zu lernen und um Seen effizient managen zu können. Dazu müssen wir die Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung aufklären, und das geht am besten in kontrollierten Experimenten. Allerdings müssen wir die Versuchsbedingungen so wählen, dass sie die Realität widerspiegeln. Das ist nicht trivial, denn unser Untersuchungsgegenstand ist das Seeökosystem als Ganzes mit seinen komplexen Wechselwirkungen. Im Reagenzglas oder in kleinen Laborversuchen können wir diese Komplexität nicht angemessen berücksichtigen, aber Experimente im Seelabor können genau das leisten. Und gleichzeitig machen sie es möglich, die Regeln moderner Versuchsplanung anzuwenden, was in Ganzseeexperimenten, die die Realität noch besser abbilden können, in aller Regel ausgeschlossen ist. Das Seelabor schafft also den Spagat, ein hohes Maß an Realitätsnähe darzustellen und gleichzeitig stringente Versuchsbedingungen einzuhalten. 

Vielleicht können Sie diese Vorteile an einem Beispiel erläutern…

In einem Versuch haben wir die Effekte von Sturmereignissen auf die Planktongemeinschaft in Seen untersucht. Dafür wurde im Seelabor ein Sommersturm simuliert, bei dem die obere Wassersäule von 7 auf 14 Metern durchmischt wurde, ganz ähnlich wie bei einem Sturmereignis, das wir 2012 im Stechlinsee beobachtet hatten. Diese tiefe Durchmischung während der sommerlichen Schichtungsphase hat mehrere Wochen nach dem simulierten Sturm zu einer massiven Blaualgenblüte geführt, lange nachdem die normalen physikalischen Schichtungsverhältnisse wiederhergestellt waren. Wir konnten somit ohne jeden Zweifel den ursächlichen Zusammenhang zwischen Sommersturm und der Entwicklung potentiell toxischer Blaualgen nachweisen, paradoxerweise in einem ziemlich nährstoffarmen See. 

Inwiefern sind Erkenntnisse aus dem Seelabor für das Seenmanagement oder Präventivmaßnahmen relevant?

Am Beispiel der Sommerstürme wird deutlich, dass wir uns angesichts des Klimawandels auch Sorgen um die klaren Seen machen müssen, die bisher keine Probleme mit Algenblüten hatten. Und generell müssen wir davon ausgehen, dass in Zukunft neben einer Vielzahl anderen Veränderungen verstärkt Eutrophierungserscheinungen in Seen auftreten, selbst dann, wenn nicht mehr Nährstoffe verfügbar sind. Das bedeutet, dass zusätzliche Anstrengungen zur Reduzierung der Nährstoffeinträge notwendig sind, wenn wir die in den letzten Jahrzehnten erreichten Zustandsverbesserungen von Seen erhalten wollen.

Wenn Sie in die Zukunft schauen, wo wird das Seelabor in 10 Jahren stehen, was sind die nächsten großen Ideen?

Ein Aspekt, den wir zu Beginn gar nicht auf dem Schirm hatten, ist die Analyse von Seen mittels Fernerkundung. Das Seelabor eignet sich dazu hervorragend als Eichinstrument. Denn wir können in den verschiedenen Versuchszylindern unterschiedliche Zustände einstellen, besonders Gradienten von Algenbiomasse oder Huminstoffkonzentrationen, die wir mit traditionellen und neuartigen Methoden vor Ort charakterisieren und dann mit Luft- und Satellitenbildern abgleichen können. Außerdem würde ich gerne die Effekte der Klimaerwärmung auf das Ökosystem See untersuchen. Dazu gibt es zwar bereits eine Vielzahl von Studien, aber eben praktisch keine Experimente, die der Komplexität von Seen Rechnung tragen und gleichzeitig den Regeln der modernen Versuchsplanung gerecht werden.

Noch ein Abschlusssatz zum Seelabor

20 Nationen von allen Kontinenten in einem kleinen Dorf mit weniger als 300 Einwohnern – auch das hat das Seelabor bewirkt. Mit ihm ist der Stechlinsee ein zunehmend wichtiger Forschungsstandort für Menschen aus aller Welt geworden. Besonders über die EU-Infrastruktur-Projekte AQUACOSM und AQUACOSM-plus, die von Jens Nejstgaard und Stella Berger koordiniert werden, hat er eine enorme internationale Sichtbarkeit bekommen. Es ist schön zu sehen, dass die Fäden eines einzigartigen großen internationalen Netzwerks in der Gewässerforschung heute, 10 Jahre nach dem Bau, am Seelabor zusammenlaufen.

Lieber Herr Gessner, herzlichen Dank für das Interview.

Zu welchen Projekten, wissenschaftlichen Erkenntnissen und neuen Perspektiven die Forschung am Seelabor geführt hat, stellen wir Ihnen in einer Zwischenbilanz vor > 

 

Das Gespräch führte Nadja Neumann.

Ansprechpersonen

Mark Gessner

Abteilungsleiter*in
Forschungsgruppe
Ökosystemprozesse

Stella A. Berger

Forschungsgruppenleiter*in
Forschungsgruppe
Phytoplanktonökologie
Projekte
Ansprechpersonen
Markus Venohr
Abteilung(en)
(Abt. 1) Ökohydrologie und Biogeochemie
(Abt. 3) Plankton- und Mikrobielle Ökologie
(Abt. 4) Biologie der Fische, Fischerei und Aquakultur
Beginn
03/2014
Ende
02/2018
Themenbereiche
Ansprechpersonen
Mark Gessner
Franz Hölker
Abteilung(en)
(Abt. 1) Ökohydrologie und Biogeochemie
(Abt. 2) Ökologie der Lebensgemeinschaften und Ökosysteme
(Abt. 3) Plankton- und Mikrobielle Ökologie
(Abt. 4) Biologie der Fische, Fischerei und Aquakultur
Beginn
07/2015
Ende
06/2018
Themenbereiche