Unsere Welt beherbergt aktuell über 8 Milliarden Menschen, und alle diese Menschen haben Hunger. Über 50 Prozent des Fisches, den wir essen, stammt bereits aus Aquakulturbetrieben – Farmen, die gezielt Fische für unsere Ernährung aufziehen. Aber viele Menschen fragen sich: Ist Fisch aus Aquakultur nicht voller Chemikalien?
Jeder kennt das Problem: Je mehr Individuen auf engem Raum zusammentreffen, desto leichter verbreiten sich Krankheiten. Da fährt man zur Grippezeit in überfüllten Bussen und Bahnen, es wird gehustet und geschnieft – und zwei Tage später ist man selbst krank. In der Fischzucht ist das nicht anders. Ist eine Krankheit erst einmal ausgebrochen, sind die Therapiemöglichkeiten begrenzt. Dann hilft oft nur noch der Einsatz von Medikamenten für den ganzen Fischbestand. Das ist schlecht für die Fische, für die Umwelt und für uns.
Wir brauchen deshalb neue Ansätze, um gesunden und nachhaltigen Fisch als Nahrungsmittel zu züchten. Dabei nutzen wir die Tatsache, dass Lebewesen mit dem Immunsystem bereits ein hoch effektives körpereigenes Abwehrsystem besitzen, das sie vor Krankheitserregern – sogenannten Pathogenen – schützt. Zu den wichtigsten Enzymen des Immunsystems gehört Lysozym. Lysozym spaltet bestimmte chemische Bindungen, die nur in der Bakterienzellwand vorkommen. Wasser aus der Umgebung dringt in die Bakterienzelle ein, wodurch diese platzt und stirbt. Außerdem haben wir spezialisierte Zellen, die Phagozyten oder Fresszellen genannt werden. Der Name ist hierbei Programm: Fresszellen nehmen eingedrungene Krankheitserreger auf, verdauen sie und reinigen somit das Gewebe.
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Eine bewährte Methode, um das Immunsystem zur Vorbeugung von Krankheiten anzuregen, ist die Einnahme bestimmter Substanzen mit der Nahrung. Diese Substanzen wecken das Immunsystem auf und versetzen es in einen leichten Alarmzustand und werden daher als Immunstimulanzien bezeichnet. Wenn unser Immunsystem dann mit einem Pathogen in Kontakt kommt, kann es schneller und effizienter reagieren. Eine solche Gruppe von Immunstimulanzien sind Huminstoffe, genauer gesagt die wasserlöslichen Humin- und Fulvosäuren. Wir alle haben diese Substanzen bereits unbewusst kennengelernt: Es handelt sich um das braune Zeug, das beim Gießen von Topfpflanzen das Wasser verfärbt.
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Huminstoffe werden bereits erfolgreich in der Tierzucht eingesetzt. Die Zugabe zum Futter von Kühen, Schweinen und Fischen verbessert das Wachstum und verringert Krankheiten. Da Huminstoffe in fast allen natürlichen Gewässern vorkommen, sind Fische in der Natur immer gewissen Konzentrationen dieser Stoffe ausgesetzt. Wir stellten uns daher die Frage: Warum geben wir das Immunstimulans nicht dem Wasser hinzu, anstatt es aufwändig dem Futter zuzusetzen? Auf diese Weise könnten auch die Fischlarven, die sich noch vom Dotter ernähren, effektiv geschützt werden.
Wir haben uns bei der Beantwortung dieser Frage von einem kleinen Fisch helfen lassen: dem Zebrabärbling. Aufgrund seiner einfachen Haltung im Aquarium, der schnellen Vermehrung und der Transparenz der Larven ist der Zebrabärbling ein beliebter Modellorganismus in verschiedenen Forschungsbereichen. Als wir die Larven in einer niedrigen bis mittleren Konzentration von Fulvosäure aufzogen, waren wir überrascht zu sehen, dass sie früher schlüpften als die Kontrolltiere ohne Fulvosäure. Sie waren jedoch dennoch voll entwickelt und flitzten munter in ihren Behältern herum. Offenbar hatte die Fulvosäure eine positive Wirkung auf die Fische. Wir fanden zudem, dass Gene für Wachstum und Schlupf aktiviert waren. Es schien, als ob der Stoffwechsel der Larven stimuliert war, so dass sie die Energie aus dem Dotter besser nutzen konnten. Und wie sieht es jetzt mit dem Immunsystem aus? Auch das Immunsystem der Fische schien verbessert zu sein, da wir sowohl mehr vom zuvor erwähnten Lysozym als auch von den Phagozyten fanden.
Aber Vorsicht! Bei hohen Konzentrationen hatte die Fulvosäure schädliche Auswirkungen auf die Fische, einschließlich Schwellungen durch Flüssigkeitseinlagerungen – sogenannte Ödeme – und Blutungen im Gewebe (Hämatomen) sowie Störungen im Blutkreislauf. Um solche negativen Effekte in der Aquakultur zu vermeiden – schließlich wollen wir gesunde Fische haben – mussten wir die zugrunde liegenden Mechanismen klären.
Huminstoffe können Radikale sein, also Moleküle, die ungepaarte Elektronen besitzen. Diese ungepaarten Elektronen machen Radikale sehr reaktiv und instabil, wodurch sie schnell mit anderen Molekülen reagieren können. Wenn sie Wasser oder biologische Strukturen spalten, entsteht reaktiver Sauerstoff. Wird dieser nicht durch entsprechende Mechanismen bekämpft, führt er zu Schäden am Gewebe – sogenanntem oxidativem Stress. Den reaktiven Sauerstoff können wir mit einem speziellen Farbstoff sichtbar machen, der bei Kontakt zu fluoreszieren beginnt. Tatsächlich begannen die Larven, die in hohen Konzentrationen von Fulvosäure herangewachsen waren, nach Zugabe des Farbstoffs grün zu leuchten. Die Kontrolltiere blieben hingegen unverändert. Unsere kleinen Modellfische lehrten uns also, dass niedrige bis mittlere Konzentrationen der Fulvosäure positive Auswirkungen auf das Wachstum und die Aktivierung des Immunsystems haben. Das zeigt das große Potenzial der Fulvosäure für den Einsatz in der Aquakultur. Aber lassen sich diese Ergebnisse auch bei Speisefischen erzielen? Also weg vom Mikroskop und ran an die Fischbecken.
Wir haben uns hierbei auf die Regenbogenforelle konzentriert, die einer der wichtigsten Süßwasserspeisefische ist. Nachdem wir die Forellen vier Wochen lang in Fulvosäure gebadet hatten, waren sie deutlich größer und schwerer als die Kontrolltiere, obwohl sie dieselbe Menge an Futter bekommen hatten. Die Hinweise auf besseres Wachstum, die uns der Zebrabärbling gegeben hat, konnten die Forellen bestätigen. Wir waren jedoch auch daran interessiert, ob Fulvosäure eine Immunaktivierung bei unseren Forellen bewirken kann und die Fische somit vor Krankheitserregern schützt. Dabei haben wir uns besonders auf die Kiemen der Forellen konzentriert. Durch ihren direkten Kontakt mit der Umwelt sind sie besonders anfällig für Pathogene. Die Kiemen und die sie umgebende Schleimschicht besitzen deshalb besonders viel Lysozym.
Die Aktivität des Enzyms messen wir, indem wir Bakterien dazugeben und beobachten, wie schnell sie durch das Lysozym platzen. Die Ergebnisse waren vielversprechend: Das Lysozym der Forellen, die in Fulvosäure gebadet wurden, konnte Bakterien rund 30 Prozent schneller auflösen als das der Kontrolltiere. Die Fische sind besser in der Lage, Krankheitserreger zu bekämpfen, bevor sie in den Körper eindringen können. Aber das ist noch nicht alles! Falls Pathogene doch eindringen sollten, helfen die Fresszellen dabei, diese schnell zu eliminieren. Die Fresszellen der Forellen sind viel aktiver und „hungriger“, wenn die Fische mit Fulvosäure behandelt werden. Das Immunsystem der Forellen kann somit nach einer Behandlung mit Fulvosäure viel schneller und effektiver auf Pathogene reagieren und diese bekämpfen, bevor die Krankheit ausbricht.
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Die Produktion von Fisch ist weltweit ein wichtiger Wirtschaftszweig. Im Durchschnitt isst jeder Deutsche jährlich 15 Kilogramm Fisch. Um sicherzustellen, dass der Fisch, den wir essen, nachhaltig und gesund produziert wird, ist es unerlässlich, das Tierwohl und die Tiergesundheit zu verbessern.
Unsere Forschungsergebnisse zeigen deutlich, dass das Wachstum von Fischen gesteigert und ihre Abwehrkräfte gegen Krankheiten gestärkt werden. Unsere Fulvosäure ist eine natürliche Fischapotheke! Die Zugabe zum Wasser ist eine einfache und kosteneffektive Methode im Vergleich zur Produktion spezieller Futtermittel. Dank der Fulvosäure können wir somit unbeschwert leckere und gesunde Fischgerichte aus nachhaltiger Aquakultur genießen.
Der Beitrag ist im Rahmen des Klar-Text-Preises für Wissenschaftskommunikation entstanden.