Pressemitteilung
Nadja Neumann

Robert Arlinghaus ist National Champion des Frontiers Planet Prize

Studie zur Förderung der Fischbestände in Seen ausgezeichnet
Heute am Earth Day wurden die 19 Nationalen Champions des Frontiers Planet Prize bekannt gegeben, ein weltweit bedeutender Forschungspreis für Nachhaltigkeit. Robert Arlinghaus, Fischereiprofessor am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und an der Humboldt Universität zu Berlin, und sein Team werden für ihre wegweisende Science-Publikation über die Wirksamkeit der ökologischen Aufwertung von Gewässern auf die Fischbestände gewürdigt.
Flachwasserzonen sind besser als Fischbesatz

Flachwasserzonen und Totholzbündel schaffen neue Lebensräume für Fische und sind effektiver als der Besatz mit Fischen. | Foto: Thomas Klefoth, AVN

Professor Jean-Claude Burgelman, Direktor des Frontiers Planet Prize, sagte: „Angesichts der immensen Bedrohungen für die Menschen und den Planeten brauchen wir mutige, transformative Lösungen, die sich auf Fakten stützen und wissenschaftlich fundiert sind. Innovative und skalierbare Lösungen sind der einzige Weg, um ein gesundes Leben auf einem gesunden Planeten zu gewährleisten.“

Eine dieser Lösungen, die zur Kategorie „Naturbasierte Lösungen und Wiederherstellung von Ökosystemen“ gehört, ist in der Studie von Prof. Robert Arlinghaus und seinem Team beschrieben: die Revitalisierung von Seen durch die Schaffung von Flachwasserzonen und das Einbringen von Totholz. Weltweit werden Millionen von Fischen in Gewässer ausgesetzt, um die natürlichen Fischbestände zu stärken. Dass diese sogenannte Fischbesatz-Praxis nicht immer erfolgreich ist und wie es besser geht, zeigt die in der Fachzeitschrift Science erschienene Studie. Die Besonderheit der Untersuchung von Arlinghaus und seinem Team ist unter anderem die enge Verbindung von Forschung und Anwendung und die Durchführung von wiederholten Experimenten auf der Ebene ganzer Seen in Zusammenarbeit mit der Angelpraxis.

Lebensraum schaffen ist besser als mehr Fische einzusetzen

Das Forschungsteam hat in einem Vorher-Nachher-Kontroll-Experiment über sechs Jahre in 20 Baggerseen verglichen, wie sich das Aussetzen von Fischen und die Aufwertung der Lebensräume auf die Fischbestände auswirken. „Das war ein einzigartiger Freilandversuch, in dem wir in enger Zusammenarbeit einer Vielzahl von Angelvereinen auf der Ebene des gesamten Ökosystems mit verschiedenen Bewirtschaftungsvarianten experimentiert haben. So ein großes, wiederholtes und vor allem kontrolliertes Ganzseeexperiment gab es in dieser Form bisher nicht. Es freut mich sehr, dass unsere Forschungsarbeit nun mit dem Nationalen Frontiers Planet Prize ausgezeichnet wurde“, sagt der Initiator und Koordinator des Projekts, Professor Robert Arlinghaus. 

„Über einen Zeitraum von sechs Jahren wurden rund 160.000 Fische und viele andere Tier- und Pflanzenarten vor und nach Maßnahmendurchführung beprobt, um zu untersuchen, wie die jeweiligen Organismengruppen auf die Schaffung von Lebensräumen oder das Einsetzen von insgesamt 40.000 einzeln markierten Fischen reagieren“, ergänzt der Erstautor der Studie, Prof. Johannes Radinger, ehemaliger Wissenschaftler der Arbeitsgruppe von Prof. Arlinghaus und jetzt Professor an der Hochschule Magdeburg-Stendal. „Die Studie zeigte, dass ein ökosystembasiertes Management, insbesondere die Schaffung von Flachwasserzonen, den Fischbestand in den Seen und die Reproduktion von Fischen nachhaltig erhöhte und auch die Vielfalt anderer Organismengruppen wie Libellen oder Wasserpflanzen förderte“, erläutert Dr. Sven Matern, zweiter Erstautor der ausgezeichneten Studie und ehemaliger Doktorand von Robert Arlinghaus. Die im Fischschutz gängige Praxis des Fischbesatzes, an der viele Angelvereine aber auch andere Naturschutzakteure weltweit häufig festhalten, ist in dem Versuch hingegen fehlgeschlagen. Das Einbringen von Totholz als Strukturelement zeigte gewässerspezifisch und artabhängig positive Effekte auf Fische und andere Organismen, war aber gegenüber der Schaffung von Flachwasserzonen weniger erfolgreich.

Angelvereine als wichtige Partner 

Das von den beiden Ministerien BMBF und BMUV sowie dem Bundesamt für Naturschutz in den Jahren 2016 bis 2022 finanzierte Forschungs- und Umsetzungsprojekt BAGGERSEE, das Grundlage der Science-Publikation war, wurde in enger Zusammenarbeit mit Dutzenden von Angelvereinen im Anglerverband Niedersachsen e.V. (AVN) durchgeführt. Hunderte Personen aus der Angelpraxis waren an der Umsetzung der Managementmaßnahmen und der Datenerhebung beteiligt. Fischereibiologen des AVN planten und koordinierten die Umsetzung der Maßnahmen. „Die Ergebnisse haben direkte Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Angelvereine Seen bewirtschaften. Aktuell läuft ein Vermittlungsprojekt als Anschluss, in dem die Ergebnisse deutschlandweit an Angelvereine über die Projektregion Niedersachsen hinaus kommuniziert werden“, sagt Prof. Thomas Klefoth von der Hochschule Bremen, der das BAGGERSEE-Projekt zusammen mit Prof. Arlinghaus erdacht und ehemals als Fischereibiologe des AVN koordiniert hat. 

Prof. Robert Arlinghaus 

© Stefan Klenke

 „Wir haben die Erfolgsaussicht ökosystembezogener Maßnahmen auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt. Zentral ist, dass die Verbesserung der Ökosysteme die wichtigsten beschränkenden Habitate umfasst."

Süßwasserfische sind gefährdet

Süßwasserfische gehören zu den am stärksten gefährdeten Wirbeltieren weltweit. In Deutschland beispielsweise gilt gemäß der Roten Liste der Süßwasserfische jede zweite Art als gefährdet. Einer der Hauptgründe ist der Verlust an angemessenem Lebensraum. Fischrückgänge haben weitreichende Folgen für die Gewässer sowie die Erwerbs- und Angelfischerei. Wirksame Erhaltungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen sind erforderlich, um den Fischrückgang umzukehren. „Ein vielversprechender Ansatz ist das ökosystembasierte Management, das darauf abzielt, wichtige ökologische Prozesse, Lebensräume und Beziehungen zwischen Arten zu verbessern oder wiederherzustellen, anstatt sich auf die Beseitigung einzelner Stressoren oder die Unterstützung einzelner Arten nur über Fischbesatz zu konzentrieren“, sagt Robert Arlinghaus. Dieser umfassende Ansatz ist jedoch oft kostspielig und mit hohen bürokratischen Hürden verbunden. 

Ökosystembasiertes Management lohnt sich

Politische Entscheidungsträger zögern daher, in ökosystembasiertes Management zu investieren, solange es keine soliden wissenschaftlichen Belege für seine Wirksamkeit gibt. „Mit unserer groß angelegten experimentellen Feldstudie, die auch Kontrollgewässer mit einbezog und so belastbare Ergebnisse lieferte, haben wir die Erfolgsaussichten ökosystembezogener Maßnahmen nun auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt. Entscheidend ist, dass die Verbesserung der Ökosysteme die wichtigsten beschränkenden Habitate umfasst. In Baggerseen sind das die Flachwasserzonen, in anderen Gewässertypen können aber auch andere Lebensräume wichtiger sein, wie zum Beispiel die Auen an Fließgewässern“, erklärt Robert Arlinghaus.

Nationale Champions mit Chance auf Millionenförderung

Die Nationalen Champions für wissenschaftliche Durchbrüche im Bereich Nachhaltigkeit wurden von einer Jury aus 100 renommierten Nachhaltigkeitsforscher*innen weltweit unter Vorsitz von Professor Johan Rockström vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) ausgewählt. Die Nationalen Champions werden nun in die Endrunde des Wettbewerbs einziehen, in der im Juni 2025 drei internationale Champions vorgestellt werden, die jeweils 1 Mio. USD für ihre weitere Forschung erhalten.

 

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