Fokus
Nadja Neumann

Wie die Kleinsten interagieren

Mikroorganismen in Gewässern treten auf vielfältige Weise miteinander in Kontakt
Die Interaktionen der kleinsten Organismen in unseren Gewässern prägen die Struktur und Funktion dieser Gemeinschaften mit tiefgreifenden Folgen für die biogeochemischen Kreisläufe und die Gesundheit von aquatischen Ökosystemen.  Luca Zoccarato und Hans-Peter Grossart haben mittels Genomanalyse das Interaktionspotenzial von 473 verschiedenen marinen Bakterien untersucht.

Mit bloßem Auge kann man sie nicht sehen, und trotzdem beeinflussen Bakterien maßgeblich die Stoffumsetzungen im Wasser. | Foto: Angelina Tittmann

Insbesondere die Wechselwirkungen zwischen heterotrophen Bakterien und dem Phytoplankton beeinflussen die Funktionen des Ökosystems und die biogeochemischen Kreisläufe.

Bakterien als Steuerungsgröße für den Kohlenstoff im Gewässer

Ein Beispiel veranschaulicht dies deutlich: Heterotrophe Bakterien müssen organische Stoffe von anderen aufnehmen, weil sie sie nicht selbst bilden können. Sie setzen dabei bis zu 50 Prozent der vom Phytoplankton freigesetzten organischen Stoffe um und sind somit die wichtigste Steuerungsgröße für die Dynamik des gelösten organischen Kohlenstoffs in den Ozeanen. Sie bestimmen die Funktion der Ozeane als Kohlenstoffsenke oder -quelle und damit die Rückkopplung auf das Klima. 

Interaktionen bisher nur in einzelnen Modellsystemen untersucht

Die Bakterien nutzen den organischen Kohlenstoff des Phytoplanktons. Im Gegenzug profitiert das Phytoplankton von mehr Nährstoffen durch bakterienvermittelte  Prozesse, wie die Remineralisierung von Stickstoff und Phosphor, die Zufuhr von Vitaminen und die Eisenversorgung durch die Bildung von Siderophoren. „Die meisten Interaktionsmechanismen wurden bisher nur in wenigen Modellsystemen untersucht. Also, indem man einzelne Mikroorganismen  zusammen gezüchtet und dann ihr Zusammenwirken analysiert hat. Über ihre tatsächliche Verbreitung in der komplexen mikrobiellen Gemeinschaft weiß man wenig“, sagt Hans-Peter Grossart.

Vielfältige Interaktionsmerkmale entschlüsselt

Das Team entwickelte einen eigenschaftsbasierten Ansatz, der komplexe genomische Daten in eine verwertbare Informationsmenge umwandelt. Dabei wird nach kompletten Stoffwechselwegen und Gensätzen gesucht, die ein Profil genetischer Merkmale für jedes Genom definieren. Diesen Ansatz wendeten sie auf 473 vollständige Genome verschiedener mariner Bakterien aus 248 Gattungen an – ein erheblicher Teil der mikrobiellen Gemeinschaften im Meer.

Die Forschenden identifizierten genomische Funktionscluster, die Bakterien mit gemeinsamer Ökologie und Lebensgeschichte gruppieren. Die meisten genomischen Funktionscluster zeigten vielfältige Kombinationen von Interaktionsmerkmalen, darunter die Produktion von Siderophoren, Phytohormonen und verschiedenen B-Vitaminen.

Viele Bakterien bekommen ihre Vitamine von anderen

Die Vitamine B1, B7 und B12 sind wichtige Kofaktoren für Mikroben. Einige Mikroorganismen wie das Phytoplankton können sie nicht selbst bilden und müssen sie von Bakterien beziehen. Vitamine sind in aquatischen Ökosystemen nur in geringen Konzentrationen vorhanden und ein Mangel kann die biogeochemischen Kreisläufe einschränken. Weniger als die Hälfte aller Mikroorganismen in dem Datensatz der Forschenden konnte alle drei Vitamine produzieren. Von den übrigen synthetisierten 29 Prozent mindestens zwei B-Vitamine und 23 Prozent konnten nur eine Art von B-Vitaminen bilden, 9 Prozent gar keine. Tatsächlich kodierten fast alle Genome, nämlich 83 Prozent für Transporter für mindestens eines dieser Vitamine. „Das bedeutet, dass viele Mikroorganismen die Vitamine nutzen, die andere gebildet haben“, erläutert Luca Zoccarato.

Phytohormone von Bakterien regen Wachstum des Phytoplanktons an

Zusätzlich zu solchen stoffwechselbezogenen Interaktionen, kann es durch Phytohormone oder Toxine auch zu einer direkten Kommunikation zwischen Bakterien und Phytoplankton kommen.

Mehrere aktuelle Studien haben gezeigt, dass Bakterien durch Phytohormone das Wachstum des Phytoplanktons beeinflussen können, wie durch das Auxin-Hormon Indol-3-Essigsäure (IAA). Und tatsächlich wiesen die Forschenden dieses Phytohormon in den Meeresproben nach. Ein deutlicher Anteil der analysierten Bakteriengenome (3 bis 8 Prozent) zeigte das Potenzial, ein solches Hormon zu bilden, was bedeutet, dass mehr Bakterien als erwartet das Wachstum des Phytoplanktons direkt beeinflussen könnten.

Mehr Interaktionsmechanismen als erwartet

„Bestimmte genomische Funktionscluster, zu denen Alpha- und Gammaproteobakterien gehören, wiesen mehr Interaktionsmerkmale auf, als aufgrund ihrer Genomgröße zu erwarten war, und sind möglicherweise stärker auf Interaktion mit anderen Bakterien und Phytoplankton ausgerichtet", so Luca Zoccarato. Die Forschenden identifizierten Cluster von miteinander verbundenen Merkmalen, die möglicherweise auf zelluläre Funktionen hinweisen, die sich gemeinsam entwickelt haben – wie Sekretionssysteme, die Regulierung des Stickstoffstoffmetabolismus und B-Vitamintransporter – und die ein neues Licht darauf werfen, wie sich die vielschichtige mikrobielle Interaktion entfalten können.

Die Ergebnisse zeigen, dass komplexe Mechanismen mikrobieller Interaktionen unter den Organismen im Meer weit verbreitet sind. Auch Süßwasserbakterien besitzen vermutlich dieses Potenzial. „Dies zeigt wieder einmal, wie sehr die Lebensweisen und Funktionen der verschiedenen Arten im Ökosystem aufeinander angewiesen sind – ein Plädoyer für die Artenvielfalt“, resümiert Hans-Peter Grossart.

Den Artikel in Communications Biology lesen >

Ansprechpersonen

Seite teilen