Einem Räuber geschickt auszuweichen – davon hängt das Überleben von Tieren in freier Wildbahn ab. Daher müssen Beutetiere Anzeichen für drohende Gefahr richtig deuten und von unbedeutenden Störungen unterscheiden können. Das internationale Forschungsteam unter Leitung des IGB-Forschers David Bierbach hat im Freiland und unter Laborbedingungen das Räuberabwehrverhalten von Schwefelmollys (Poecilia sulphuraria) vor Vögeln erforscht. Die kleinen Fische sind in ihrem natürlichen Lebensraum, den Schwefelquellen Südmexikos, einem hohen Fraßdruck durch Vögel ausgesetzt und haben im Laufe der Evolution Strategien entwickelt, ihr Verhalten im Schwarm an diese Gefahr anzupassen.
Fluchtreaktion im Energiesparmodus
Fischfressende Vögel müssen das Wasser erst einmal „betreten“, bevor sie ihre Beute erhaschen können. Sie setzen also neben dem visuellen auch ein akustisches Zeichen, wenn sie auf der Wasseroberfläche aufschlagen oder ins Wasser eintauchen. Vorüberfliegende Vögel hingegen setzen nur einen visuellen Reiz. In einem Laborexperiment setzten die Forscher Gruppen von Schwefelmollys drei verschiedenen Reizmodalitäten aus: einem visuellen Reiz, einem akustischen Reiz sowie der Kombination aus beiden Reizen, die einen echten Vogelangriff simuliert. Das Team vermutete, dass die Fische am stärksten auf die visuell-akustische Kombination reagieren würden.
Und tatsächlich: Schwefelmollys, die einen Großteil ihrer Zeit an der Wasseroberfläche verbringen, reagieren feinabgestimmt auf visuelle und akustische Räuberreize, lautet die Erkenntnis des Forschungsteams. „Interessanterweise tauchten die Fische in 96 Prozent der Versuche ab, unabhängig von der Art und Anzahl der Reize. Tiefe, Dauer und Geschwindigkeit des Tauchgangs hingen jedoch davon ab, ob auf einen einzelnen oder kombinierten Reiz reagiert wurde. Für Fische scheint dies eine optimale Strategie zu sein: Sie reagieren auch auf einzelne Reize, verschwenden aber nicht zu viel Energie, wenn sich herausstellt, dass es sich nicht um einen Vogelangriff handelt“, erläutert IGB-Forscherin Juliane Lukas, die Erstautorin der Studie.
Mehrstufige Antiräuber-Reaktionen sind eine verbreitete Strategie unter Beutetieren
Die Fische reagieren also in zwei Stufen: Der „Alles-oder-Nichts“ Reaktion, bei der die Fische zunächst abtauchen, folgt die Feinabstimmung der Tauchparameter an die beobachteten Reize. Solche mehrstufigen Antiräuber-Reaktionen sind auch bei anderen Tieren beschrieben worden: „Durch das Ausführen von aufeinanderfolgenden Verhaltensweisen können die Tiere Informationen über den Räuber aktualisieren oder neue Informationen sammeln und so ihr Verhalten während jeder Stufe optimieren – das reduziert ihr Risiko gefressen zu werden und minimiert gegebenenfalls den Aufwand, wenn es doch nicht so gefährlich ist,“, resümiert Juliane Lukas.