„Tiere, die in Seen, Flüssen und Feuchtgebieten leben, sind überproportional vom Aussterben bedroht und in besonderer Weise schutzbedürftig“, betont IGB-Forscher Dr. Gregor Kalinkat, einer der Autoren des Aufrufs in der Fachpublikation Conservation Biology. Aktuelle Zahlen bestätigen dies: Laut Living Planet Report 2016 des World Wildlife Funds (WWF) ist der Bestand an in Süßgewässern lebenden bekannten Arten zwischen 1970 und 2012 um 81 Prozent geschrumpft. In dem Aufruf fordern die Autoren, für Süßgewässer flagship umbrella species zu definieren und zielgerichtete Schutzmaßnahmen zu konzipieren.
Der Begriff flagship umbrella species vereint zwei etablierte Konzepte der Naturschutzbiologie: Die „Flaggschiff“-Funktion zielt vor allem darauf ab, öffentliche Aufmerksamkeit zu generieren und dadurch Schutzmaßnahmen zu ermöglichen, z.B. durch Spenden. Der Panda ist das bekannteste Beispiel für eine flagship species; der Bär mit dem markanten, schwarz-weiß gefleckten Fell dient seit Jahrzehnten als Aushängeschild und Werbeträger für den Schutz bedrohter Arten. Umbrella species sind Tierarten, von deren Schutz viele weitere Spezies profitieren, zum Beispiel der Amur-Tiger in Ostsibirien, dessen Schutz unter anderem auch Bären und Hirschen nutzt.
Vom Panda zur Muschel: Wissenschaftler benennen Flaggschiffarten für Gewässer
Neue Schutzkonzepte müssen dabei auch bislang vernachlässigte Tier- und Pflanzenarten berücksichtigen, die eine besondere Rolle in ihrem jeweiligen Ökosystem innehaben, und die Skala der schutzwürdigen Arten erweitern: von Einzellern bis zum Wirbeltier.
Die Autoren diskutieren verschiedene Kriterien für flagship umbrella species und identifizieren insgesamt mehr als 60 Arten, die „Süßwasser-Pandas“ sein könnten. Zu ihnen zählen der Europäische Stör, ein Knochenfisch, für dessen Wiederansiedlung in Deutschland sich das IGB seit Langem einsetzt, die Flussperlmuschel, eine stark vom Aussterben bedrohte heimische Großmuschel, die sauberes Wasser braucht und bis zu 80 Jahre alt werden kann und die Gefleckte Heidelibelle, die an ihrem farbenfrohen Körper leicht zu erkennen ist.
Forscher fordern bessere Daten und eine enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis
Besserer Artenschutz benötigt zudem bessere Daten – deren aktueller Bestand insbesondere für Süßwasserarten zuletzt deutlich verbessert werden konnte, aber weiterhin ungenügend ist. „Bislang gibt es überproportional viele Forschungsarbeiten und wissenschaftliches Datenmaterial zu auf dem Land und in Ozeanen lebenden Spezies. Für den Schutz von Süßwasserarten benötigen wir dringend umfassendere Daten, die mit neuen verfügbaren Methoden großflächig und auf kostengünstige Weise erhoben werden können“, berichtet Dr. Gregor Kalinkat. Mit diesen neu entwickelten molekularen Methoden (z.B. „Umwelt-DNA“) lässt sich beispielsweise anhand einfacher Wasserproben bestimmen, welche Arten von Fischen oder Amphibien vorhanden sind, wo man früher mühsam mit Netzen oder per Hand sammeln musste.
Damit umfassendere Schutzmaßnahmen für Süßwasser-Arten umgesetzt werden können, müssen Wissenschaft und Praxis enger zusammenarbeiten, betonen die Forscher in ihrem Aufruf. Wirkungsvolle Konzepte benötigen dabei nicht nur „Süßwasser-Pandas“ – zielgerichteter Artenschutz ist auf die Unterstützung möglichst vieler Akteure weltweit angewiesen.
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Gregor Kalinkat, Juliano S. Cabral, William Darwall, G. Francesco Ficetola, Judith L. Fisher, Darren P. Giling, Marie-Pierre Gosselin, Hans-Peter Grossart, Sonja C. Jähnig, Jonathan M. Jeschke, Klaus Knopf, Stefano Larsen, Gabriela Onandia, Marlene Paetzig, Wolf-Christian Saul, Gabriel Singer, Erik Sperfeld, Ivan Jaric (2017) Flagship umbrella species needed for the conservation of overlooked aquatic biodiversity. Conservation Biology 31, 2. doi: 10.1111/cobi.12813