Fokus
Nadja Neumann

Seen unter Eis

Die Kälte schreckt den IGB-Forscher Georgiy Kirillin bei seinen Forschungsreisen nicht. Er ist fasziniert von dem was unter der Eisdecke von zugefrorenen Seen geschieht.

Georgiy Kirillin und ein Kollege auf dem Kilpisjärvi See in Lappland. | Foto: IGB

Georgiy Kirillin lässt die Messsonden durch ein  Loch unter die ein Meter dicke Eisschicht des Kilpisjärvi Sees im äußersten Nordwesten Finnlands gleiten. „In vielen Langzeitbeobachtungen von Seen hatten wir eine Lücke – im Winter“, sagt der Forscher. Gerade die Eisperiode ist mit komplizierten physikalischen Prozessen verbunden. Kirillin erforscht, wie sich das Wasser unter der Eisfläche verhält, welche Schichten es bildet oder welche Strömungen im Wasser entstehen. Diese Faktoren bestimmen die Länge und Art der Eisbedeckung und dies wiederum hat Auswirkungen auf die Ökologie des Sees.  

Die Forschungsgruppe des IGB unterhält mit Unterstützung der Universität Helsinki eine Messplattform im See, die in regelmäßigen Abständen vollautomatisch Werte wie den Sauerstoffgehalt oder die Temperatur im Wasser aufnimmt. Die Wissenschaftler haben den Kilpisjärvi ausgewählt, weil er der See mit der längsten Eisperiode in Europa ist. Weiter nach Norden hin sind schon die Auswirkungen des Golfstroms spürbar. Bis Mitte Juni bleibt die Eisschicht, darunter sind vierzig Meter Wasser – und dort ist es alles andere als still.

Mit einem mit Sonden ausgerüsteten Mini-U-Boot misst Kirillin mit seinen Kollegen die Strömungsverhältnisse unter dem Eis. Die Forschenden konnten so erstmals für Binnenseen detailliert zeigen, wie das Wasser unter der Eisschicht zirkuliert. In etwa zwei bis drei Tagen ist das  gesamte Wasservolumen des sieben Kilometer langen Sees unter dem Eis einmal herumgekreist.

In Zeiten des Klimawandels verändert sich das Eis – und damit auch die Ökologie des Sees

Die Daten von Kirillins Team am Kilpisjärvi bestätigen, was auch für anderen Seen weltweit beobachtet wird: Die Zeit der jährlichen Eisbedeckung wird kürzer. Schon zweimal in Folge gab es in den letzten vier Jahren am Kilpisjärvi einen Negativrekord. „Die verkürzte Eisbedeckung verändert das Wachstum von Algen, Pflanzen und Kleinstlebewesen, ganze Nahrungsnetze im See verschieben sich“, erläutert Kirillin.

Der Wissenschaftler forscht auch am Baikalsee in Russland, dort sind die Auswirkungen des Klimawandels nicht ganz so stark zu spüren. In der anderthalb Kilometer starken Wassersäule des tiefsten Süßwassersees der Erde ist viel Wärme gespeichert. Dies verhindert lange Zeit die Ausbildung einer Eisschicht auf dem See. Selbst bei -30°C im November ist der Baikalsee häufig noch eisfrei.

Vorsicht: Eisdecke oszilliert wie eine Trommel

Auch wenn der Forscher schon auf dutzenden eisbedeckten Seen in der ganzen Welt stand, er ist noch nie eingebrochen (– klopf auf Eis!). Sein Rat: „Dem Eis ist nicht zu trauen. Mindestens zwanzig Zentimeter dick sollte die Schicht schon sein, bevor man darauf laufen kann. Starker Wind bringt das Eis zum Schwingen und warmes Wasser kann eindringen. Strömungen unter dem Eis sind immer gefährlich, insbesondere wenn man die Eisdicke unter einer Schneeschicht nicht abschätzen kann. Aber das ist ja gerade das Spannende; Eis ist alles andere als starr – weil so viel unter der Oberfläche geschieht, das wir nicht sehen und erst so langsam beginnen zu verstehen.“

 

Christof Engelhardt war lange Jahre Leiter der Forschungsgruppe Physikalische Limnologie am IGB und engagierter Betriebsratsvorsitzender. Er hat den Wissenschaftler seiner Arbeitsgruppe, Georgiy Kirillin, bei vielen seiner Forschungsreisen begleitet und unterstützt. Christof Engelhardt ist seit dem 1. Dezember 2019 in Rente. Wir wünschen ihm für diese Zeit alles Gute!

Ansprechpersonen

Georgiy Kirillin

Forschungsgruppenleiter*in
Forschungsgruppe
Physikalische Limnologie