Es gibt immer mehr große Kanäle und Rohrleitungen, die Süßwasser aus wasserreichen Regionen dorthin transportieren, wo es als Trinkwasser oder für Industrie und Landwirtschaft benötigt wird. 34 Mega-Anlagen existieren bereits, 76 weitere sind in Planung oder werden gebaut; doch neben den Vorteilen des Wassertransfers sind die Auswirkungen auf Mensch und Ökosysteme enorm. Christiane Zarfl, Professorin für Umweltsystemanalyse von der Universität Tübingen, hat gemeinsam mit ihrer Doktorandin Oleksandra Shumilova vom IGB und weiteren Forschungseinrichtungen diese sogenannten Wassertransfer-Megaprojekte (WTMP) nun erstmals systematisch erfasst. Die Ergebnisse wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Frontiers in Environmental Science veröffentlicht.
„Künstliche Flüsse“ und riesige Rohre, also gewaltige Wassertransferanlagen, sollen in Zukunft die weltweite Wasserversorgung gewährleisten, denn Klimawandel, Industrie und Landwirtschaft lassen in manchen Regionen das Wasser knapp werden. In einigen Ländern, beispielsweise in China und den USA, sind WTMP bereits heute ein wichtiger Faktor. Zum Beispiel verbindet der knapp 1500 km lange Süd-Nord-Kanal Chinas wasserreichen Süden mit dem durstigen Norden, in dem sich unter anderem die Hauptstadt Peking befindet.
„Wassertransfer-Megaprojekte können für die Menschen in den betroffenen Regionen viele Vorteile bringen“, erklärt Shumilova. „Gleichzeitig gibt es aber häufig auch negative Auswirkungen auf sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Ebene; vor allem in den Gebieten, denen Wasser entnommen wird.“ Wasser gehe verloren durch Verdunstung oder Lecks, Regionen versalzten, Schadstoffe und invasive Arten könnten sich besser ausbreiten. Außerdem gebe es ein höheres Konfliktpotential zwischen Ländern, die dasselbe Flusseinzugsgebiet teilten.
„Wir haben Informationen zu allen aktuell bestehenden und bis zum Jahr 2050 geplanten Wassertransfer-Megaprojekten in einer Datenbank gesammelt“, erklärt Zarfl. „Wichtige Daten waren für uns beispielsweise die Wassermenge, die transferiert wird, die zu überwindende Entfernung, die geplanten und tatsächlichen Kosten und der Zweck des Wassertransfers“. Als WTMP gelten Bauprojekte, die über 1 Milliarde US-Dollar kosten, mindestens 190 Kilometer überwinden oder mehr als 0,23 km³ Wasser pro Jahr transportieren. Wenn alle im Bau befindlichen und geplanten Großprojekte fertiggestellt sind, werden die WTMP zusammen 1910 km³ Wasser transportieren; das ist etwa die 26-fache jährliche durchschnittliche Wassermenge des Rheins. Hintereinandergelegt sind sie etwa doppelt so lang wie der Äquator, über 80.000 Kilometer. Die Gesamtkosten aller Bauvorhaben schätzen die Forscherinnen und Forscher auf voraussichtlich 2700 Milliarden US-Dollar.
Bislang wurden allerdings weder die Parameter der WTMP noch die Auswirkungen von einer zentralen Stelle gesammelt. Diese Lücke schließt das Forschungsprojekt und schafft damit eine Voraussetzung für international vereinbarte Kriterien, die den Aufbau, die Leistungsfähigkeit und die Auswirkungen der künstlichen Flüsse auf Mensch und Umwelt vergleichbarer machen. „Bei der Planung künftiger Megaprojekte wird es somit leichter, Kosten und Umweltfolgen einzuschätzen und dem Nutzen gegenüberzustellen“, erläutert Zarfl. „In künftigen Forschungen möchten wir vor allem die Auswirkungen dieser gewaltigen Projekte untersuchen und die Risiken, die damit verbunden sind.“
Diese Pressemitteilung wurde von der Abteilung Hochschulkommunikation der Eberhard Karls Universität Tübingen erstellt und veröffentlicht.
Oleksandra Shumilova, Klement Tockner, Michele Thieme, Anna Koska, Christiane Zarfl: Global Water Transfer Megaprojects: A Potential Solution for the Water-Food-Energy Nexus? In: Frontiers in Environmental Science. https://doi.org/10.3389/fenvs.2018.00150