Pressemitteilung
Nadja Neumann

Lieber immer verlieren als manchmal gewinnen

Gewinner gewinnen stets und Verlierer verlieren immer – ist das wirklich so? Bei der aktuellen Fußball-Europameisterschaft augenscheinlich nicht. Die Wissenschaftlerin Kate Laskowski und ihr Team vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) haben in Versuchen mit klonalen Fischen festgestellt, das Erfolgs- und Misserfolgserlebnisse in frühen Entwicklungsstadien sich auf das Verhalten im weiteren Leben auswirken: Die frühen Gewinnerfische stehen auch im späteren Leben in der Hierarchieebene ganz oben. Erstaunlicherweise sind die Fische mit wechselnden Erfahrungen im Gewinnen und Verlieren im späteren Leben weniger erfolgreich als diejenigen Tiere, die als Jungfische immer die „Loser“ waren.

Die Wissenschaftlerin  Kate Laskowski  vom IGB untersucht das Sozialverhalten von Amazonen-Kärpflingen. | Foto: privat

Nicht nur bei Menschen, auch bei Tieren sind die sozialen Interaktionen in frühen Lebensabschnitten oft entscheidend für spätere Verhaltensweisen und Rollenmodelle. Kate Laskowski, David Bierbach und Max Wolf vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) untersuchten die Ausbildung des sozialen Verhaltens am Beispiel von Amazonen-Kärpflingen.

Der Amazonen-Kärpfling ist eine rein weibliche Fischart, die sich natürlicherweise klonal vermehrt, so dass in kurzer Zeit und in großer Zahl genetisch identische Individuen (Schwestern und Töchter) entstehen können. Da alle Tiere die gleichen Gene haben, sollten Verhaltensunterschiede zwischen den Fischen nur durch die Umweltbedingungen hervorgerufen werden – eine ideale Voraussetzung für Studien, welche die äußeren Einflüsse auf das Verhalten von Individuen untersuchen. Eine zentrale Frage ist dabei, wie sich frühe Erfolgs- und Misserfolgserlebnisse auf das spätere Dominanzverhalten der Tiere auswirken.

Da es bei Amazonen-Kärpflingen wie bei vielen Tieren so ist, dass die größeren Tiere bei Auseinandersetzungen fast immer gewinnen, konnten solche Erfolgs- oder Misserfolgserlebnisse gezielt herbeigeführt werden. Zwei Wochen nach der Geburt wurden dazu zwei Fische mit deutlichem Größenunterschied in ein Becken verbracht und die Interaktion mit Videoaufzeichnung festgehalten. Fische, die stets mit kleineren Fischen zusammen waren, lernten nur Sieg-Situationen kennen. Im Gegensatz dazu konnten Fische, die immer mit größeren Artgenossen zusammen waren, nie gewinnen, während Fische der dritten Versuchsgruppe mal mit größeren und mal mit kleineren Artgenossen in Kontakt kamen – sie waren abwechselnd Gewinner und Verlierer. Diese Situationen wurden über die ersten beiden Lebensmonate mehrmals wiederholt. Anschließend wurden die Fische alleine aufgezogen. Fünf Monate später, nach Erreichen der Geschlechtsreife, untersuchten die Wissenschaftler das Dominanzverhalten der Tiere in der Gruppe: Diejenigen Individuen, welche als Jungfische nur Sieg-Situationen erlebt hatten, führten nun ebenfalls die Hierarchie an. Überraschenderweise erreichten die Tiere, die in ihrer Jugend nur das Verlieren kennengelernt hatten, die mittleren Dominanzebenen, während die Fische mit gemischten Erfahrungen im Verlieren und Gewinnen die unteren Hierarchieplätze belegten. „Wir konnten an den genetisch identischen Tieren zeigen, dass frühe soziale Erfahrungen langwirkende Konsequenzen für das spätere Verhalten haben. Interessanterweise schaffen es die jugendlichen Verlierer, sich als erwachsene Tiere besser zu behaupten als Tiere, die sowohl Gewinner als auch Verlierer waren. Wir vermuten, dass die Tiere mit Erfahrungen aus beiden Situationen zwar um die Vorherrschaft in der Gruppe mitkämpfen, allerdings gegen die Tiere mit reiner Sieg-Erfahrung unterliegen und dann erschöpft auf den hinteren Rängen landen. Tiere, die immer nur verloren haben, scheinen sich bei den Rangkämpfen zuerst herauszuhalten, um dann ohne großen Aufwand in die mittleren Ebenen zu kommen. Dies wurde bei anderen Tieren bisher nicht untersucht“, fasst Kate Laskowski die Ergebnisse ihrer Studie zusammen.