Fokus

Im falschen Licht: Wenn für Fische die Nacht zum Tag wird

Meine Doktorarbeit: Anika Brüning
Wärme, Wachstum, Wohlbefinden: Die Notwendigkeit des Lichts für das gesamte Leben auf der Erde steht außer Frage. Zu viel und vor allem falsches Licht kann jedoch gesundheitsschädigend und sogar lebensfeindlich sein. Lichtverschmutzung wirkt sich nicht nur auf einzelne Lebewesen aus, sondern kann ganze Lebensgemeinschaften und Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringen.

Anika Brüning hat ihre Doktorarbeit zum Thema „Spotlight on fish: the biological impacts of artificial light at night“ am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) verfasst. | Foto: David Ausserhofer

Licht ist eine elementare Voraussetzung für die Existenz des Lebens. Es dient als Energiequelle,  aber auch als Taktgeber für die Steuerung biologischer Rhythmen von Lebewesen. Der natürliche Wechsel und die Dauer von Tag und Nacht regulieren die innere Uhr von Organismen. Verschiedene Verhaltensweisen und physiologische Prozesse werden mit den Tages- und Jahreszeiten synchronisiert. Durch die zunehmende künstliche Beleuchtung wurde ein Großteil der Erdoberfläche in den letzten Jahrzehnten diesem natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus entzogen.

Kunstlicht verstellt die innere Uhr

Durch atmosphärische Partikel wird das künstliche Licht der Städte gestreut und erreicht auch entfernte Gebiete. So können selbst abgelegene Gegenden ohne starke künstliche Beleuchtung durch Lichtverschmutzung beeinflusst werden. Der Nachthimmel ist dadurch vielerorts heller als in einer natürlichen Vollmondnacht. Die zunehmend helleren Nächte stören nicht nur astronomische Beobachtungen, auch für Flora und Fauna wird die künstliche Nachtbeleuchtung zum Problem. Bekannt sind negative Auswirkungen auf Insekten, Reptilien, Vögel und Säugetiere sowie den Menschen. Bei Tieren beeinflussen der Tag-Nacht-Rhythmus und saisonale Veränderungen der Tageslichtlänge viele natürliche Verhaltensmuster wie zum Beispiel Futtersuche, Balz und Paarung, Migration oder Winterschlaf. Fehlt eine Phase der natürlichen Dunkelheit oder wird ihre Dauer durch künstliches Licht verändert, können all diese tages- oder jahresperiodisch gesteuerten Vorgänge beeinträchtigt werden.

Zunehmende Lichtverschmutzung im urbanen Raum beeinflusst nicht nur terrestrische Lebewesen. Gewässerökosysteme reagieren sehr empfindlich auf Licht und sind oft besonders stark von nächtlicher Beleuchtung betroffen, denn die Menschheit siedelt seit jeher in der Nähe des Wassers. So verändern sich zum Beispiel die Produktivität der Gewässer oder die Räuber-Beute-Beziehungen. Noch ist weitgehend unerforscht, wie sich die zunehmende nächtliche Beleuchtung auf Wasserlebewesen und deren Wechselbeziehungen untereinander und zu ihrer Umwelt auswirkt.

Bei Fischen zum Beispiel unterliegen die meisten physiologischen und verhaltensbiologischen Vorgänge einer tages- oder jahreszeitlichen Dynamik. Künstliches Licht verwischt die Grenze zwischen Tag und Nacht und greift so in physiologische Funktionen und das Verhalten der Tiere ein. Bekannt ist bereits, dass künstliches Licht Wachstum und Entwicklung beeinflusst und sogar die Laichwanderung diadromer (wandernder) Fische stören kann.

Melatonin – ein Hormon mit Takt- und Farbgefühl

Aber wie werden diese biologischen Rhythmen bei Fischen gesteuert? Genau wie beim Menschen ist das Hormon Melatonin hauptverantwortlich. Bei Fischen allerdings ist es hauptsächlich das Pinealorgan im Gehirn, das Lichtsignale empfängt, in rhythmische Hormonsignale umwandelt und sie dem Blutkreislauf zuführt. Melatonin wird hauptsächlich in der Nacht produziert, während die Konzentrationen am Tage gering sind. Auf diese Weise spiegelt der Melatoninhaushalt immer die vorherrschende Photoperiode wider und versorgt den Fisch konstant mit Informationen über die Tages- und Jahreszeit. Licht in der Nacht unterdrückt den nächtlichen Anstieg des Melatoninspiegels. So können Prozesse gestört werden, die diesem hormonellen Rhythmus folgen.

Im Rahmen meiner Arbeit wollte ich herausfinden, wie sich Lichtverschmutzung, also geringe Intensitäten künstlichen Lichts in der Nacht, auf zwei der häufigsten Fischarten unserer Gewässer, Barsch (Perca fluviatilis) und Plötze (Rutilus rutilus), auswirkt. Hierbei sollte geklärt werden, ob, ab welchem Schwellenwert und bei welcher Lichtfarbe der Melatoninrhythmus gestört wird. Eine solche Störung kann die Reproduktionsphysiologie und damit den wichtigsten Parameter für den Fortbestand einer Art entscheidend beeinflussen.

1.	Anika Brüning führte ihre Versuche mit Barschen (hier: Perca fluviatilis) und Plötzen durch. Foto: Anika Brüning/IGBAnika Brüning führte ihre Versuche mit Barschen (hier: Perca fluviatilis) und Plötzen durch. | Foto: Anika Brüning/IGB

Mittels Laborexperimenten habe ich den Einfluss verschiedener Lichtintensitäten und -farben auf den Melatoninrhythmus und auf verschiedene Fortpflanzungshormone bei Barsch und Plötze untersucht. Die Laborstudien zeigten, dass der Melatoninrhythmus bereits bei der geringsten Intensität von 1 Lux weißen Lichts unterdrückt wird. Die Helligkeit von Vollmondlicht liegt zum Vergleich etwa bei 0,3 Lux. Bei allen getesteten Lichtintensitäten war die nächtliche Melatoninkonzentration im Haltungswasser der Fische deutlich reduziert. Dies lässt vermuten, dass Lichtverschmutzung den Biorhythmus von Fischen potenziell durcheinander bringen kann. Darüber hinaus wird deutlich, dass der Schwellenwert der Melatoninunterdrückung für beide Arten sogar unter einem Lux liegen muss. Besorgniserregend werden diese Ergebnisse, wenn man bedenkt, dass nächtliche Lichtintensitäten um 1 Lux schon in mehreren urbanen Gewässern gemessen wurden. Bei der nächtlichen Beleuchtung mit verschiedenen Lichtfarben wurde sowohl beim Barsch, als auch bei der Plötze die Melatoninproduktion von allen drei Lichtfarben (blau, rot und grün) im Vergleich zu einer Kontrollgruppe unterdrückt. Blaues Licht hatte beim Barsch allerdings einen geringeren hemmenden Einfluss. Beim Menschen und bei vielen Tieren hingegen wirkt besonders blaues Licht stark unterdrückend auf die Melatoninproduktion. Diese artspezifischen Unterschiede im Hinblick auf Intensitäts- und Farbempfindlichkeit erschweren pauschale Handlungsempfehlungen für die richtige Lichtnutzung.

Fortpflanzung nur im Dunkeln?

Auch bei der Fortpflanzung ist Licht ein wichtiger Faktor. Künstliches Licht und veränderte Photoperioden werden schon länger in der Aquakultur genutzt, um sexuelle Reifung von Fischen zu verzögern. So kann das Wachstum der Fische gesteigert oder die Reproduktion auch außerhalb der eigentlichen Fortpflanzungszeit angeregt werden. Zu diesem Zweck werden meist hohe Lichtintensitäten benutzt. Kann auch Lichtverschmutzung, also Licht mit sehr geringer Intensität, die Fortpflanzung beeinflussen?

Die Ergebnisse meiner Laborexperimente legen nahe, dass die Fortpflanzungsmechanismen von Fischen ebenfalls auf sehr wenig Licht in der Nacht reagieren können. Es scheint jedoch eine zeitlich abgegrenzte lichtsensible Phase im Jahr zu geben, in der dies der Fall ist. Da Laborexperimente die natürliche Umgebung meist nicht ausreichend abbilden, habe ich zusätzlich Freilandexperimente durchgeführt.

2.	Das Versuchsfeld im Westhavelland in einer der dunkelsten Gegenden Deutschlands: Dort installierten die Wissenschaftler  Straßenlaternen an einem Entwässerungsgraben, um die Auswirkungen künstlichen Lichts auf Fische, aber auch auf Insekten, Vögel und Fledermäuse zu erforschen. Foto: IGB Das Versuchsfeld im Westhavelland in einer der dunkelsten Gegenden Deutschlands: Dort installierten die Wissenschaftler  Straßenlaternen an einem Entwässerungsgraben, um die Auswirkungen künstlichen Lichts auf Fische, aber auch auf Insekten, Vögel und Fledermäuse zu erforschen. | Foto: IGB

Diese zeigten, dass die Fortpflanzung von Barsch und Plötze im August durch Unterdrückung der Fortpflanzungshormone mittels künstlichen Lichts beeinflusst werden kann. Dieser Zeitraum entspricht dem Beginn des Fortpflanzungszyklus, der sogenannten Vorbereitungsphase.  Auch von anderen, nicht heimischen Fischarten ist eine solche Phase bekannt. Allerdings hat die Fortpflanzung unterschiedlicher Fischarten unterschiedliche Zeitrahmen, abhängig von Lebensweise und Lebensraum. Aus diesem Grund ist es ebenfalls schwierig, eine einheitlich geltende Regelung und Handlungshinweise für die Lichtnutzung in der Nacht zu finden.

Dennoch lässt sich eindeutig feststellen, dass Lichtverschmutzung biologische Rhythmen von Fischen beeinflusst. Die Unterdrückung des Melatoninrhythmus könnte dabei viele Auswirkungen haben, die bislang noch nicht ausreichend untersucht sind. So könnten die Folgen für Immunsystem, Wachstum und Entwicklung sowie Verhaltensweisen nicht nur einzelne Fische, sondern ganze Populationen beeinflussen. Artspezifische Unterschiede in der Empfindlichkeit gegenüber künstlichem Licht in der Nacht und die damit einhergehenden Auswirkungen auf die Fortpflanzungsbiologie der Fische könnten zu Verlagerungen von biologischen Nischen führen, Räuber-Beute-Beziehungen stören und sich auf Artgemeinschaften und ganze Ökosysteme auswirken.

Zur Person

Anika Brüning hat Biologie an der Freien Universität Berlin studiert und schon ihre Diplomarbeit dem Thema Lichtverschmutzung und deren Wirkung auf Fische gewidmet. Ihre Doktoarbeit hat sie zum Thema „Spotlight on fish: the biological impacts of artificial light at night“ am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) verfasst und 2016 erfolgreich verteidigt. Derzeit schreibt sie am IGB einen Antrag für ein Postdoc-Projekt.

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