Pressemitteilung

Forschen auf Augenhöhe fördert Nachhaltigkeit

Ein sozial-ökologisches Fischereiexperiment
Den Elfenbeinturm verlassen und gemeinsame Experimente in der Natur durchführen! Ein bemerkenswertes sozial-ökologisches Experiment mit Anglern zeigt, dass so die ökologischen Kompetenzen verbessert und ökologische Handlungsweisen unter Nutzern und Bewirtschaftern natürlicher Ressourcen gefördert werden.

Versuchsgruppe Nr. 3 war an den Freilandexperimenten beteiligt. | Foto: IGB/Besatzfisch

Die Natur ist komplex und schwer zu verstehen. Es ist nahezu unmöglich, exakte Prognosen darüber anzustellen, wie natürliche Ökosysteme auf Bewirtschaftungsmaßnahmen oder natürliche Einflussfaktoren reagieren. Um die Wirkung von menschlichen Aktivitäten zu verstehen, bedarf es umfangreicher und langjähriger Freilandexperimente und einer kontinuierlichen Erfolgskontrolle. Doch all das wissenschaftliche Wissen nützt wenig, wenn es nicht mit dem Praxiswissen vor Ort verschnitten wird.

Die transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung versteht sich als der Gesellschaft verpflichteter Forschungsansatz, der Probleme der Nachhaltigkeit in enger Zusammenarbeit von Forschenden und Praktikern zu lösen versucht. Ein Nutzen, den das gemeinsame Forschen von (Bürger-)WissenschaftlerInnen verspricht, ist gemeinsames Lernen am realen Forschungsgegenstand. Doch bisher suchte man vergeblich nach quantitativen Belegen, dass sich diese neue Form der partizipativen Forschung wirklich lohnt.

Angelvereine als Versuchsgruppen

In einem umfangreichen, mehrjährigen sozial-ökologischen Fischereiexperiment haben FischereiwissenschaftlerInnen des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) in Kooperation mit BiologiedidaktikerInnen der Universität Tübingen und einer Vielzahl niedersächsischer Angelvereine als Praxispartner untersucht, ob und wie sich eingesetzte Fische in ihrer neuen Umgebung etablieren. Das mehrjährige ökologische Experiment zum Fischbesatz wurde kombiniert mit einem umweltpädagogischen Experiment zum Lernerfolg des gemeinsamen Forschens.

Die WissenschaftlerInnen haben zusammen mit Anglern und Gewässerbewirtschaftern in Workshops die ökologischen Fischbesatzexperimente geplant und evaluiert. Die umweltpädagogische Erfolgsmessung basierte auf drei Versuchsgruppen: 1) eine Placebogruppe, 2) eine Gruppe von Anglern und Bewirtschaftern, die über einen Vortrag zu Themen des nachhaltigen Fischereimanagements über Fischbesatz ausgebildet wurden, sowie 3) eine Gruppe, die am Freilandexperiment direkt beteiligt wurde, nachdem auch sie ebenfalls in einem 4,5-stündigen Seminar theoretisch in Fischbesatzthemen ausgebildet wurde. Typisch ist in den Gewässerwarteschulungen der Anglerverbände lediglich die theoretische Ausbildung.

Ausführliche Informationen zum Projekt Besatzfisch gibt es hier >

Mit aktiver Teilnahme zum nachhaltigen Erfolg

Obwohl auch die Theorie langfristig die ökologischen Wissensbestände der Angler und Bewirtschafter im Vergleich zur Placebogruppe änderte, zeigten sich die größten umweltpädagogischen Effekte bei der  partizipativen Gruppe. Diese erinnerte zehn Monaten nach Programmende nicht nur größere Wissensbestände. Darüber hinaus zeigten sich Änderungen der persönlichen Normen und der ökologischen Grundüberzeugungen – insbesondere veränderte sich die Bereitschaft, künftig über Fischbesatz das fischereiliche Management zu gestalten. Stattdessen wurden alternative Bewirtschaftungsvorgehen, die geringere ökologische Risiken kennzeichnet, wie die Verbesserung der Lebensräume oder die Verschärfung von Fangbeschränkungen, verstärkt akzeptiert.

„Unsere Studie belegt, dass aktive Teilnahme an Experimenten in der Natur einen höheren Bildungserfolg erzielt als passives Zuhören“, erläutert Professor Christoph Randler von der Universität Tübingen. „Insbesondere zeigt sich, dass das gemeinsame Forschen auf Augenhöhe Lerneffekte weit über die Wissenschaft hinaus bewirkt“, ergänzt Erstautorin Dr. Marie Fujitani. „Die Schnittstellen zwischen Umweltpraxis und Forschung müssen unbedingt gefördert werden, so dass transdisziplinäre Forschung auf der Grundlage gut evaluierter Freilandexperimente großflächig zum Einsatz kommen kann“, fordert Professor Dr. Robert Arlinghaus. Die Ergebnisse sind mit großer Wahrscheinlichkeit auch auf andere Situationen übertragbar, in der Menschen Natur nutzen und gestalten, wie z. B. in der Landwirtschaft oder in der Jagd- und Forstwirtschaft.

Das Projekt Besatzfisch und das Experiment in Bild und Ton >

Lesen Sie die Studie im Open-Access-Journal Science Advances >

Marie Fujitani, Andrew McFall, Christoph Randler, Robert Arlinghaus (2017) Participatory adaptive management leads to environmental learning outcomes extending beyond the sphere of science. Science Advances 3. doi: https://doi.org/10.1126/sciadv.1602516

Ansprechpersonen

Robert Arlinghaus

Forschungsgruppenleiter*in
Forschungsgruppe
Integratives Angelfischereimanagement
Projekte