Robert Arlinghaus erforscht das Verhalten von Fischen, um das Management und den Schutz von Fischpopulationen zu verbessern. Sein Team hat in einem Brandenburger See das deutschlandweit einzige Ganzsee-Fischortungssystem installiert, das die Positionen aller markierten Fische alle paar Sekunden auf wenige Meter genau bestimmen kann. Und das, je nach Sendertyp und Laufzeit der Batterie, über mehrere Jahre und für zahlreiche Fischarten gleichzeitig. Der Forschungssee wird zum Aquarium.
Verhaltensstudien unter natürlichen Bedingungen in Seen und Flüssen sind selten, aber wichtig. Die meisten Untersuchungen finden im Labor statt oder basieren auf relativ grob gerasterten Positionierungen. „Was die Fische genau den ganzen Tag machen, wie und mit wem sie interagieren, wie verschiedene Individuen auf Gefahr und neue Situationen reagieren, ist für die meisten natürlichen Gewässer und Arten gänzlich unbekannt. Wir kennen das Verhalten von Löwen, Schimpansen und Elefanten besser als das der heimischen Fische im Dorfteich“, erläutert Robert Arlinghaus.
Der Fischereiökologe brachte die Erkenntnisse aus dem Brandenburger Forschungssee als Koautor in eine aktuelle Science-Übersichtsstudie ein, in der ein internationales Team von Verhaltensökologen und Statistikern den aktuellen Wissensstand zur hochauflösenden Ortung von Wildtieren zusammengefasst. Die Autor*innen sprechen von einer regelrechten Revolution in der Erforschung von Tierbewegungen.
GPS versagt unter Wasser und kostet zu viel Energie
Einfach ist die Analyse der Fischbewegungen im Wasser nämlich nicht. „Während die GPS-Technologie die Analyse der Landlebewesen insbesondere auf globaler Ebene erheblich vorangetrieben hat, gibt es für den Einsatz unter Wasser auf kleinen räumlichen Skalen keine derart hochauflösenden Methoden. Denn unterhalb der Wasseroberfläche versagt die GPS-Ortung, sie kostet überdies zu viel Energie, sodass entweder nur grob gerasterte Lokalisationen möglich sind oder die Sender zu groß für die meisten heimischen Fische wären. Akustische Telemetrie mit Unterwasser-Hydrophonen war unsere Lösung", erklärt Prof. Dr. Thomas Klefoth von der Hochschule Bremen, der bereits als Doktorand im Team von Robert Arlinghaus an der Entwicklung und Installation des Ganzsee-Ortungssystems für Fische beteiligt war und auch als Koautor an der Studie mitgewirkt hat.
Einblicke wie in ein natürliches Aquarium
Die akustische Telemetrie, bei der ein Sender im Fisch Schallwellen aussendet, wurde mit einem Netz von Unterwasser-Empfangsstationen gekoppelt. Viele Jahre lang erzeugte diese Technologie jedoch nur sehr grobe Signale an weit verstreuten Empfangsstationen. „Wir haben die Zahl der Empfänger im Wasser erhöht und aus den minimalen Zeitunterschieden beim Eintreffen der Schallwellen an den Empfangsstationen die Positionen der Fische errechnet. Da die akustischen Sender im Unterschied zur GPS Technologie sehr energiesparend sind, konnten einzelne Fische über mehrere Jahre und mehrmals in der Minute mit extrem hoher Genauigkeit geortet werden. Fortschritte in der Elektrotechnik ermöglichen heute das Besendern von kleinen Fischen von 10 Zentimeter Länge über viele Monate. Dadurch können soziale Netzwerke zwischen Fischen und andere Wechselbeziehungen nun sichtbar gemacht werden“, ergänzt Robert Arlinghaus. Die Installation und Erhaltung einer solchen Ortungsanlage, oder gar die Replizierung über mehrere Gewässer, ist aber technisch extrem aufwändig und teuer, daher gibt es derzeit auch nur eine Handvoll dieser Ganzseeprojekte weltweit.
Soziale Karpfen und eigenbrötlerische Hechte
Die neue Technik erlaubt ganz neue Einsichten in das Fischverhalten unter Wasser. So zeigte die Analyse des Verhaltens einer Karpfenpopulation, dass die Fische gerne in Gruppen umherschwimmen und vor allem im Sommer soziale Netzwerke bilden, in denen einzelne Tiere, ähnlich einer losen Freundschaft, wiederholt mit ganz bestimmten Artgenossen auf Nahrungssuche gehen. Im Winter lösen sich diese stabilen Beziehungen auf. Zur Überraschung der Forschenden schwammen die Karpfen dann in größeren Schwärmen ähnlich eines Heringsschwarms aktiv im Freiwasser umher. Bisher war man davon ausgegangen, dass Karpfen als wärmeliebende Fische im Winter eine Art Winterschlaf halten und die tiefen Seeregionen aufsuchen. Im Unterschied dazu zeigten sich Hechte als isolierte Einzelgänger. Kein Wunder, Kannibalismus ist bei Hechten weitverbreitet.
Tiere mit Persönlichkeit: Ob schüchtern oder draufgängerisch zeigt sich schon beim Jungfisch
Auch konnte die Existenz von Verhaltenstypen – sogenannten Persönlichkeiten – bei allen untersuchen Fischarten im See oder Küstenbereichen nachgewiesen werden. Damit sind Individuen der gleichen Art gemeint, die systematisch bestimmte Eigenschaften zeigen. Das Team von Robert Arlinghaus kombinierte Verhaltensdaten mit Daten zur Ernährung und Fortpflanzung. Dabei zeigte sich, dass Barsche, die in der Jugend schnell wuchsen, auch als ausgewachsene Fische ein anderes Fress-, Jagd- und Reproduktionsverhalten zeigten und dass Verhaltensmerkmale, Wachstum, Lebensgeschichte und Ernährung eng gekoppelt sind.
Effekte von Auswildern, Umweltveränderungen oder Fischerei werden messbar
Neben der Grundlagenforschung sind die Erkenntnisse für den Natur- und Artenschutz relevant. „Wir konnten feststellen, dass beim Angeln vor allem die vielschwimmenden Hechte selektiv entnommen werden. So entsteht eine Auslese auf schüchtere Fische. Zusammen mit Erkenntnissen über die Aktivitätsräume der Fische, erlaubt die Ortung bessere Planung von Managementmaßnahmen, wie die Ausdehnung von Schutzgebieten oder längenbasierte Fangbeschränkungen“, erklärt Dr. Christopher Monk, Wissenschaftler am Institut für Meeresforschung in Norwegen, der über dieses Thema seine Doktorarbeit bei Robert Arlinghaus geschrieben hat.
In einer aktuellen Studie von Christopher Monk und Kollegen wurde die gängige Methode des Fischbesatzes zur Stabilisierung von Fischbeständen nachgestellt. Es zeigte sich, dass sich ortsfremde Hechte, die in den Versuchssee ausgesetzt wurden, schlechter anpassten und weniger erfolgreich fortpflanzten. Eingesetzte Welse zeigten im Vergleich zu heimischen Artgenossen über Monate unterschiedliches Verhalten. Fischbesatz ist also mitunter nicht erfolgreich und kann die Fischpopulationen sogar schwächen.
Schüchternheitssyndrom: Fische lernen, die Angel zu meiden
Viele Fische kommen im Laufe ihres Lebens mit einem Angelhaken in Berührung, zum Beispiel wenn sie als junge, noch zu kleine Fische gefangen und dann wieder ins Wasser gesetzt werden. Beangelte Fische lernen aus ihren Erfahrungen: Sie gehen schlechter an die Angel und schwimmen weniger aktiv umher – ein Phänomen, das das Team um Robert Arlinghaus als „Schüchternheitssyndrom" bezeichnet. Karpfen sind besonders lernfähig. Angelversuche im Forschungssee belegten die rapide Abnahme der Fängigkeit, obwohl sich die Karpfen durchaus in unmittelbarer Nähe der Angelhaken aufgehalten hatten. Kameraaufnahmen zeigten, dass die Karpfen schnell lernten, zwischen Ködern mit und ohne Haken zu unterscheiden und die Köder mit Haken einfach ausspuckten.
Revolution in der Bewegungsökologie
Hochaufgelöste Ortungsverfahren werden nach Meinung des Autorenteams die Verhaltensforschung in der Natur erheblich verbessern, weil die Verhaltensantworten und das Leben von wildlebenden Tieren im Detail untersucht werden können. Dabei helfen internationale Netzwerke wie das European Tracking Network oder das Lake Telemetry Network. So lassen sich Beschränkungen, wie die nur regionale oder gewässerbezogene Abdeckung mit Empfangsstationen, zum Teil überbrücken. Durch intelligente Kooperationen und längerfristige Projekte lassen sich auf der Grundlage der modernen Ortungstechnologie die Auswirkungen von Umwelt- und Klimaveränderungen auf die Fischwelt besser verstehen und auf dieser Basis der Natur- und Artenschutz voranbringen.
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