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Angelina Tittmann

„Einzäunen geht nicht“

Gewässer spielen eine zentrale Rolle für die Gestaltung unserer Freizeitaktivitäten. Wie sich diese auf die Ökosysteme von Seen und Flüssen auswirken, wurde im Gewässermanagement bislang kaum und bestenfalls durch Nutzungseinschränkungen berücksichtigt. Markus Venohr und Christian Wolter wollen das ändern – und verraten im Interview auch, was Nutzerinnen und Nutzer bevorzugen und am meisten stört, wenn sie am See Erholung suchen.

Diverse Freizeitnutzungen an Gewässern wurden bisher kaum wissenschaftlich untersucht. Im neuen Projekt AQUATAG möchten IGB-Forschende diese Lücke schließen. | Foto: Florian Möllers/AVN

Dr. Christian Wolter

Dr. Christian Wolter leitet am IGB den Programmbereich 3. | Foto: Andy Küchenmeister/IGB

Herr Venohr, Herr Wolter, Sie beschäftigen sich in Ihrem aktuellen Projekt AQUATAG mit der Frage, wie stark Gewässer unter der menschlichen Freizeitnutzung leiden. Wie kam es dazu?

Christian Wolter: Anthropogene Einflüsse auf Gewässer sind ein wichtiger Teil unserer Forschungsarbeit. Wir hatten bislang allerdings vor allem die kommerzielle Nutzung im Blick, also beispielsweise Beeinträchtigungen durch Schifffahrt oder den Eintrag von Nährstoffen aus der Landwirtschaft. Bei der Frage, wie sich Gewässer revitalisieren lassen, geriet die Freizeitnutzung gewissermaßen von selbst in den Blick – schließlich werden Motorboote auch privat genutzt…

Markus Venohr: … und dann gibt es noch die Paddler, oder Spazierende, die ihre Hunde ausführen, oder Badende. Sie alle nutzen Seen und Flüsse auf jeweils unterschiedliche Weise. Insgesamt entsteht vor allem in den Städten ein starker Nutzungsdruck durch Freizeitaktivitäten auf Gewässer, über den wir bisher zu wenig wissen. Welche Bedingungen bestimmen, wie viele Leute zu welchen Zeiten an ein Gewässer gehen? Dazu gibt es kaum Daten, und die vorhandenen, zum Beispiel ein Jahresdurchschnitt von Badegästen, sind nicht geeignet, Nutzungspeaks zu lokalisieren. Peaks – also Zeitpunkte mit hoher Belastung – entstehen meist nur an wenigen Tagen im Jahr, beeinträchtigen dann aber die Ökologie unter Umständen stark und dauerhaft.

Was zeichnet solche Peaks aus, und warum werden sie zur Belastung für die Gewässer?

MV: Insbesondere Badegewässer werden an heißen, sonnigen Tagen gerne genutzt, an Wochenenden und in den Ferien sind die Besucherzahlen deutlich höher als an Arbeitstagen. Ab welcher Belastung das für die Ökologie der Gewässer problematisch ist, wollen wir herausfinden.

CW: Uns interessiert in diesem Zusammenhang auch die Frage, welche Rückkopplungen es zwischen Nutzung und Belastung gibt. Wenn viele Menschen den Badesee besuchen und das Ökosystem leidet, wirkt sich dies wiederum auch auf die Nutzung aus? Befragungen zeigten uns, dass moderat geschädigte Ökosysteme – etwa ein „aufgeräumter“ Strand mit wenig Bewuchs und ohne Wasserpflanzen im Ufersaum – bevorzugt werden, dort ist die Nutzerzufriedenheit größer als an sehr naturnahen Wasserstellen.

Dr. Markus Venohr

Dr. Markus Venohr leitet das neue Projekt AQUATAG, in dem Forschende die Auswirkungen von Freizeitnutzungen auf Gewässer untersuchen. | Foto: Andy Küchenmeister/IGB

Worauf legen Badegäste besonderen Wert?

MV: Wer schwimmen will, dem ist klares Wasser besonders wichtig; auch Müll wurde häufig als Störfaktor genannt. Interessanterweise sind aber auch andere Nutzerinnen und Nutzer unerwünscht. Wenn es sehr voll an einer Badestelle ist, kann das schwerer wiegen als Müll oder andere Störfaktoren. Je nach Nutzertyp sind die Präferenzen allerdings unterschiedlich, zum Beispiel kann eine gute Wasserqualität für Angler eine völlig andere Bedeutung haben; die mögen lieber trüberes, also nährstoffreiches Wasser, in dem Fische gut gedeihen. Wer ein Boot fährt, mag es wiederum, wenn wenige Wasserpflanzen wachsen. Die ökologische Belastung für Gewässer beginnt jedoch bereits, bevor Freizeitnutzende Veränderungen wahrnehmen. Um solche Schwellenwerte geht es uns: Ab welchem Nutzungsdruck kommt es zu einer dauerhaften Beeinträchtigung von Ökosystemen?

CW: Für die kommerzielle Schifffahrt in Bundeswasserstraßen haben wir einen solchen Wert bereits bestimmen können. Wenn mehr als sechs bis acht Schiffe pro Tag passieren, werden im Uferbereich lebende Jungfische beeinträchtigt. Wir wollen weitere Belastungsschwellen identifizieren und untersuchen dafür sowohl weniger als auch intensiver genutzte Gewässer, auch um unterscheiden zu können, welche Effekte aus der Freizeitnutzung resultieren und welche nicht. Zum Beispiel gibt es in der Spreewaldregion unterschiedlich genutzte Wasserläufe: Von komplett geschützten Gräben über wenig befahrene Nebenarme bis zu den Hauptrouten, die intensiv genutzt werden – da können wir wunderbar vergleichen. Außerdem untersuchen wir die im Berliner Stadtgebiet gelegenen Kaulsdorfer Seen, die im Sommer stark frequentiert werden, aber auch Seen in Brandenburg, in denen vielleicht ein paar Dorfkinder baden.

Ziel der Untersuchungen soll ja sein, Maßnahmen zum Gewässerschutz anzupassen. Haben Sie ein Beispiel für solche Anpassungen?

MV: Wichtig ist uns, Nutzerzufriedenheit und ökologische Effekte gemeinsam einzubeziehen. Für einige Gewässer gibt es zum Beispiel eine maximal erlaubte Zahl von Paddelbooten. Die Festlegungen sind allerdings bisher nicht wissenschaftlich begründet und bei den Nutzenden umstritten. Wenn wir jedoch zeigen können, dass die ökologische Belastung ab einer bestimmten Anzahl tatsächlich kritisch wird, kann dadurch die Akzeptanz solcher Begrenzungen steigen.

CW: Denkbar wäre auch, Gewässer, die bereits attraktiv für Besucher sind, als „Opfergewässer“ zu definieren und dort eine tolle Infrastruktur zu installieren – von der Zufahrt über Parkplätze bis zu Toiletten. Dadurch lässt sich der Nutzungsdruck lenken, andere Gewässer in der Umgebung werden weniger stark besucht. Ein vollständiger Schutz ist kaum realisierbar – einzäunen geht schließlich nicht. Aber unser Ziel sollte es schon sein, dass natürliche Gewässerlandschaften sich nicht weiter zurückentwickeln, sondern sich erholen können.

In einer Stadt wie Berlin ist das sicher nur eingeschränkt möglich, was kann man dort tun?

MV: In Berlin sind große Anteile der Gewässerufer verbaut und weder begeh- noch erlebbar. Diese moderat zu erschließen, bietet Potenziale sowohl für das bessere Erleben urbaner Gewässer als auch für den Arten- und Biotopschutz.

Venohr M et al. The underestimated dynamics and impacts of water-based recreational activities on freshwater ecosystems. Environmental Reviews. 2018;26(2):199-213. DOI 10.1139/er-2017-0024.

Ansprechpersonen

Markus Venohr

Programmbereichssprecher*in
Forschungsgruppe
Flussgebietsmodellierung

Christian Wolter

Forschungsgruppenleiter*in
Forschungsgruppe
Fließgewässerrevitalisierung
Projekte

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