Pressemitteilung

Bislang unbemerkte Geschlechtsumkehr bei Amphibien durch Pillen-Östrogen

Hormonell aktive Substanzen könnten zum weltweiten Artensterben von Amphibien beitragen. Einige Stoffe (z.B. aus Pharmaka) kommen in „biologisch relevanten“ Konzentrationen in Gewässern vor, so dass sie das Hormonsystem der Tiere und die Geschlechtsentwicklung beeinflussen. Forscher vom IGB und der Universität Wroclaw verglichen bei drei Amphibienarten die Wirkungen des Pillen-Östrogens Ethinylestradiol (EE2) auf die Geschlechtsentwicklung. Die in „Scientific Reports“ publizierte Studie zeigt, dass EE2 zur vollständigen Verweiblichung genetischer Männchen führen kann. Ohne molekulare Feststellung des genetischen Geschlechts blieb dies bislang teilweise unbemerkt.

Die Wechselkröte (Bufo viridis) und ihre Kaulquappen können in ihrem Lebensraum Gewässer hormonell aktiven Substanzen (wie dem Pillen-Östrogen EE2) ausgesetzt sein. | Foto: Amaël Borzée

17α-Ethinylestradiol (EE2) ist ein synthetisches Östrogen, das sehr häufig in Verhütungspillen verwendet wird, aber in der Umwelt natürlicherweise nicht vorkommt. Da es in Kläranlagen nur unvollständig abgebaut wird, kann es in biologisch relevanten Konzentrationen in die Gewässer gelangen. Der Evolutionsbiologe Dr. Matthias Stöck, Leiter der Studie und Heisenberg-Stipendiat am IGB, sagt: „Amphibien sind solchen Beeinträchtigungen in der Umwelt nahezu ständig ausgesetzt. Nur, wenn wir überhaupt in der Lage sind, sie erfassbar zu machen, können wir sie langfristig auch verhindern.”

Auch Laubfrösche (Hyla arborea) sind hormonell aktiven Substanzen ausgesetzt. | Foto: Christophe Dufresnes

Auch Laubfrösche (Hyla arborea) können hormonell aktiven Substanzen ausgesetzt sein. | Foto: Christophe Dufresnes  

Die Empfindlichkeit gegenüber hormonell aktiven Substanzen wie EE2 ist nicht bei allen Amphibienarten gleich, so die Hypothese der Wissenschaftler; schließlich haben einige Arten hunderte Millionen Jahre getrennter Evolutionsgeschichte durchlaufen und verschiedene genetische Mechanismen ihrer Geschlechtsbestimmung evolviert. Daher hat das Forscherteam vom IGB und der Universität Wroclaw erstmals den Einfluss von EE2 auf die Entwicklung von drei verschiedenen Amphibienarten im gleichen Experiment getestet: Neben der Amphibien-Modellart, dem Afrikanischen Krallenfrosch (Xenopus laevis), wurden auch Kaulquappen des Laubfrosches (Hyla arborea) und der Wechselkröte (Bufo viridis) in Wasser aufgezogen, welches unterschiedliche Konzentrationen von EE2 enthielt und mit Kontrollgruppen verglichen. Besonders war bei diesem Forschungsansatz, dass das genetische Geschlecht aller Arten mittels neuster molekularen Methoden festgestellt wurde. Zugleich untersuchten die Forscher die phänotypische Entwicklung der Geschlechtsorgane – also das äußere Erscheinungsbild und das Aussehen der Gewebe unter dem Mikroskop. Erst dieser Vergleich von genetischem und phänotypischem Geschlecht hat es ermöglicht, die Wirkung von EE2 vollständig zu erfassen.

„Die Verweiblichung von Populationen kann neben anderen schädigenden Hormonwirkungen zum Aussterben von Amphibienarten beitragen,“ sagt Matthias Stöck.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass nach der Exposition mit EE2 bei allen drei Amphibienarten eine Geschlechtsumkehr von genetisch männlichen zu weiblichen Tieren auftritt; dabei reicht der Anteil von 15 bis zu 100 Prozent. Die drei Arten reagieren jedoch unterschiedlich empfindlich. IGB-Forscher Prof. Werner Kloas, Co-Autor der Studie, ist ein international renommierter Ökotoxikologe. Er sagt zu den Ergebnissen: „EE2 ist auch in unserem Wasserkreislauf enthalten und stellt, zusammen mit anderen östrogenartig wirkenden Stoffen nicht nur für Amphibien, sondern auch für uns Menschen eine ernstzunehmende Beeinträchtigung dar. Unsere Studie zeigt, dass der Afrikanische Krallenfrosch als Modellart sehr gut geeignet ist, um die Wirkung von hormonell aktiven Substanzen in der Umwelt zu erforschen. Die Wirkungen, die wir an dieser Tierart feststellen, lassen sich aber nicht ohne weiteres auf andere Amphibienarten übertragen.“

Für die Durchführung der Studie war die Zusammenarbeit mit der Universität Wroclaw in Polen essenziell. Die dortige Kooperationspartnerin, Prof. Maria Ogielska, erklärt: „Wir haben unsere jahrelangen Erfahrungen bei der Erforschung der Fortpflanzung von Amphibien, vor allem deren Entwicklungsbiologie, in das Projekt eingebracht.”

Doktorandin Stephanie Tamschick sagt: „Zusammen mit Studenten haben wir über drei Monate die Kaulquappen unter identischen Versuchsbedingungen aufgezogen. Neu war, dass wir bei allen Arten das genetische Geschlecht – also ob eine Kaulquappe genetisch männlich oder weiblich ist – ermittelt haben. Besonders dadurch konnte ich im Rahmen meiner Doktorarbeit feststellen, dass sich die verweiblichende Wirkung von EE2 so unterschiedlich bei den untersuchten Frosch- und Krötenarten auswirkt.“

Die Studie wurde durch eine Projektförderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für  Dr. Matthias  Stöck finanziert. Die Open-Access-Publikation wurde vom gleichnamigen Fond der Leibniz-Gemeinschaft unterstützt.

Ansprechpersonen

Matthias Stöck

Forschungsgruppenleiter*in
Forschungsgruppe
Genetik und Evolution von Fischen (und anderen Wirbeltieren)