Pressemitteilung
Angelina Tittmann

Synthetische Chemikalien: verkannte Komponente des globalen Umweltwandels

Die Produktion synthetischer Chemikalien wächst weltweit rasant. Und so gelangen immer mehr Stoffe aus Medikamenten, Pestiziden, Lacken sowie industrielle Chemikalien und Kunstfasern in unsere Umwelt. Sie verunreinigen Böden und Gewässer, wirken auf Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen und werden über das Trinkwasser oder die Nahrungskette in den menschlichen Körper aufgenommen. In einer neuen Studie, an der das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin beteiligt war, weisen Forscher auf die globale Dimension dieser Problematik hin. Sie beklagen eine weit verbreitete Fehleinschätzung ihrer Bedeutung und fordern internationale Koordination und Kooperation, um das Verhalten und die Effekte synthetischer Chemikalien in der Umwelt künftig besser vorhersagen und reduzieren zu können. Die Studie erschien in der Fachzeitschrift „Frontiers in Ecology and the Environment“.

Synthetische Chemikalien verunreinigen zunehmend und weltweit Böden und Gewässer. Über die Auswirkungen ist jedoch nur wenig bekannt. | Foto: David Ausserhofer

„Unsere Analyse zeigt, dass synthetische Chemikalien ein zentraler, aber in seiner Dimension auch in Fachkreisen erstaunlicherweise stark unterschätzter Aspekt des globalen Umweltwandels sind“, betont Prof. Mark Gessner, Wissenschaftler am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und Mitautor der Studie. Synthetische Chemikalien erfüllen klar die drei Kriterien, die Einflussfaktoren des globalen Umweltwandels charakterisieren: „Sie sind weltweit verbreitet, wirken nachweislich auf Lebewesen und zeigen exponentielle Veränderungsraten, die mit dem Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum gekoppelt sind.“

Entwicklung und Produktion solcher Materialien schreiten weltweit rasch voran. Im Vergleich dazu ist das Wissen zu den Umweltfolgen synthetischer Chemikalien jedoch extrem beschränkt. Prof. Emily Bernhardt von der Duke Universität in den USA und Erstautorin der Studie warnt: „Dieser blinde Fleck kann dazu führen, dass Maßnahmen gegen den globalen Umweltwandel wirkungslos bleiben und die definierten globalen Nachhaltigkeitsziele verfehlt werden.“

Synthetische Chemikalien nehmen schneller zu als andere Faktoren des globalen Umweltwandels

In ihrer Studie analysierten die Wissenschaftler die Trends bei der Neuentwicklung und Produktion von Pestiziden, Pharmazeutika und anderen synthetischen Chemikalien seit den 1970er Jahren. Ihre Ergebnisse verglichen sie mit denen anderer klar identifizierter Faktoren des globalen Umweltwandels. Sie stellten fest, dass die Vielfalt und die Verwendung synthetischer Chemikalien weltweit schneller zunehmen als z.B. die CO2-Emmissionen, die Landnutzung, der Biodiversitätsverlust oder der Nährstoffeintrag in Böden und Gewässer. Mehr als 80.000 solcher Stoffe sind aktuell auf dem Markt erhältlich.

„Wir müssen vor allem die Vielzahl der oftmals indirekten Wechselwirkung dieser Stoffe mit anderen Umweltfaktoren in Ökosystemen kennen, um vorhersagen zu können, welche Effekte unter realen Bedingungen in unserer Umwelt zu erwarten sind“, erklärt Mark Gessner. Angesichts der Breite des Problems rufen die Wissenschaftler zu einer verstärkten, problemorientierten Zusammenarbeit von Ökologen und Ökotoxikologen aus Wissenschaft, Behörden und Industrie auf. Nur eine internationale und transdisziplinäre Kooperation und Koordination könne die Basis schaffen, um die Auswirkungen synthetischer Chemikalien als Teil des globalen Umweltwandels zu begreifen und künftig zu minimieren.

Die Studie wurde durch einen Bessel-Preis der Alexander von Humboldt-Stiftung und durch das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) unterstützt.

Lesen Sie die Studie im Fachjournal Frontiers in Ecology and the Environment >

Emily S Bernhardt, Emma J Rosi, and Mark O Gessner (2016) Synthetic chemicals as agents of global change. Frontiers in Ecology and the Environment. doi:10.1002/fee.1450

Ansprechpersonen

Mark Gessner

Abteilungsleiter*in
Forschungsgruppe
Ökosystemprozesse