Pressemitteilung
Angelina Tittmann

Flachwasserbereiche sind entscheidend für den Nährstoffhaushalt eines Sees

Neue Forschungsergebnisse zum Stechlin
Auch tiefe Klarwasserseen, die als besonders wertvolle Ökosysteme gelten, können Anzeichen von Überdüngung und Algenwachstum zeigen – oft ohne ersichtlichen Grund. Eine neue Studie von vier Forscher*innen des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) zeigt nun, dass die Ursachen nicht immer in steigenden Nährstoffeinträgen aus dem Einzugsgebiet oder in Rücklösungsprozessen im Tiefenbereich eines Sees zu suchen sind, sondern auch in den flacheren Bereichen bis rund 20 Metern Wassertiefe. Das Team kombinierte Langzeitdaten zur Wasserchemie, mehrjährige Messungen mit Sedimentfallen, Sedimentanalysen und einfache Massenbilanzmodelle, um die Mechanismen hinter der plötzlichen Überdüngung des Stechlinsees zu entschlüsseln. Die Ergebnisse sind nicht nur überraschend, sie könnten auch auf ähnliche Seentypen weltweit zutreffen.

Flachwasserbereiche sind wichtige Zonen für den Stoffwechsel in Seen, wie eine neue Studie vom Stechlin zeigt. | Foto: Solvin Zankl

Überdüngung, auch Eutrophierung genannt, ist weltweit eines der drängendsten Umweltprobleme in Seen. Üblicherweise ist sie auf vom Menschen verursachte Nährstoffeinträge, wie unzureichend behandeltes Abwasser und die Düngung landwirtschaftlicher Flächen, zurückzuführen. Die Folgen wie Algenblüten, Sauerstoffmangel und Fischsterben sind seit langem bekannt. Inzwischen zeigen aber auch immer mehr abgelegene Seen, die kaum von menschlicher Aktivität beeinflusst werden, Anzeichen einer plötzlichen Eutrophierung. Bisher wurden der Klimawandel, atmosphärische Einträge oder die interne Belastung aus dem Tiefenbereich der Seen als mögliche Ursachen diskutiert.

Für ihre Studie untersuchte das IGB-Team den Stechlinsee, einen tiefen Klarwassersee im Nordosten Deutschlands, der in den letzten Jahren eine dramatische Nährstoffzunahme erlebt hat. Innerhalb von nur zehn Jahren vervierfachte sich die Phosphorkonzentration, was mit Algenblüten, Sauerstoffschwund im Tiefenwasser und anderen Symptomen der Eutrophierung einherging.

Flachwasserbereiche: Neue Pflanzenzusammensetzung und veränderte Sedimenteigenschaften führten zu Phosphoranstieg

Die Forscherinnen und Forscher fanden heraus, dass nicht nur Prozesse in den Sedimenten tieferer Bereiche den natürlichen Phosphorrückhalt im See beeinflussen, sondern auch die Flachwasserbereiche des Sees eine entscheidende Rolle spielen. Darunter verstehen die Forschenden die Zonen, in denen noch Licht bis zum Grund durchdringt, was am Stechlin Bereiche bis etwa 20 Meter Wassertiefe und damit 46 Prozent der Seefläche umfasst. 

Insbesondere Veränderungen bei den dort vorkommenden Unterwasserpflanzen und die reduzierte Fähigkeit der Sedimente, Phosphor zu binden, verstärken die interne Phosphordynamik. Bisher sind sogenannte Regimewechsel vorwiegend für flache, nicht aber für geschichtete Seen beschrieben. Der Stechlin gehört mit einer maximalen Tiefe von fast 70 Metern jedoch zu den tiefsten Seen Norddeutschlands. 

Wie die Forschenden beschreiben, gingen die mit wintergrünen Armleuchteralgen besiedelten Flächen stark zurück, so dass freiliegende Sedimentflächen entstanden, die nun allmählich mit einjährigen, höheren Wasserpflanzen besiedelt wurden. Diese Veränderungen der Vegetation führten dazu, dass der zuvor in Pflanzen oder Sedimenten gebundene Phosphor in die Wassersäule gelangen konnte. Die Ursachen für diese Veränderung der Unterwasserpflanzen-Gemeinschaft sind nach wie vor Gegenstand wissenschaftlicher Forschung und Diskussion.  

Neben den Pflanzen sind auch Veränderungen der Sedimenteigenschaften des Sees ein wichtiger Faktor. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellten fest, dass die obersten Sedimentschichten weniger Eisen enthalten, wodurch sich die Fähigkeit, Phosphor zu binden, verringert. Dies könnte über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten durch die fortschreitende Bildung von Eisensulfid in den flachen und tiefen Sedimenten des Sees verursacht worden sein. Dabei wird Eisen zunehmend als Eisensulfid festgelegt und steht nicht mehr für die Bindung des Phosphors zur Verfügung.

„Diese komplexen Wechselwirkungen zwischen Pflanzenwelt und Sedimenteigenschaften könnten erklären, warum der Stechlinsee in den letzten Jahren so schnell eutrophiert ist“, erklärt Dr. Thomas Gonsiorczyk, einer der beiden Hauptautoren der Studie. „Selbst tiefe Seen können durch diese Prozesse in ihren Flachwasserbereichen in einen Zustand starker Überdüngung geraten.“

Prozesse im Tiefenwasser und externe Einträge spielen am Stechlin eine untergeordnete Rolle

Die Analyse des Stechlinsees zeigte auch, dass der Anstieg der Phosphorkonzentration nicht durch externe Nährstoffeinträge zu erklären ist. Die Datenauswertungen legen sogar nahe, dass die Phosphorbelastung aus dem Einzugsgebiet seit 1990 abgenommen hat. Auch andere potenzielle Quellen wie Wiedervernässungsmaßnahmen oder die Spätfolgen früherer Belastungen durch Abwässer der touristisch stark frequentierten Region wurden als Ursache für die Phosphoranreicherung als unwahrscheinlich eingestuft.

Trendumkehr: Phosphorkonzentrationen sinken seit 2020

Die Grafik zeigt die Phospor-Konzentration von 1990 bis September 2024.

Entwicklung der mittleren jährlichen Gesamtphosphorkonzentration im Stechlinsee seit 1990. | © IGB

Seit 2020 hat die Phosphorkonzentration im See wieder stark abgenommen. „Die Phosphorkonzentration im See ist 2024 nur noch halb so hoch wie noch im Jahr 2020“, sagt Prof. Michael Hupfer, ebenfalls Hauptautor der Studie. Ob diese Entwicklung anhält und diese Veränderung auch eine längerfristige Trendumkehr in der Besiedlung mit Unterwasserpflanzen zur Folge hat, bleibt jedoch abzuwarten. Die sinkenden Phosphorkonzentrationen haben bisher auch noch nicht dazu geführt, dass sich die Sauerstoffverhältnisse im Tiefenwasser entscheidend verbessert haben.

Bedeutung für den Gewässerschutz

Die Ergebnisse der aktuellen Studie sind für den Gewässerschutz von Interesse, da viele geschichtete Seen trotz ihrer Tiefe einen hohen Flachwasseranteil im oben beschriebenen Sinne aufweisen. Dort könnten also ähnliche Prozesse ablaufen.

Der Klimawandel verstärkt durch längere sommerliche Schichtung, Starkregen und häufigere Stürme die Eutrophierungserscheinungen in Seen. „Um geschichtete Klarwasserseen langfristig zu erhalten, müssen Schutzmaßnahmen deshalb künftig stärker auch die durchlichteten Flachwasserbereiche einbeziehen“, betont Michael Hupfer. „Dies könnte helfen, die Nährstoffdynamik von Seen besser zu verstehen und wirksame Strategien gegen die Verschlechterung der Wasserqualität zu entwickeln.“

 

Mehr Information zum Stechlin >

Deutsche Seen im Klimawandel >

Sauerstoffmangel im Wasser >

Wie sich Seen weltweit durch den Klimawandel verändern >

Informationen zum Management von Wasserpflanzen >

Glossar

Armleuchteralgen
Armleuchteralgen sind nicht ganz Alge und nicht ganz Pflanze, in jedem Fall aber sind sie ein deutlicher Hinweis auf geringe Nährstoffkonzentrationen und saubere Gewässer. Und sie tragen zur Säuberung des Wassers bei, indem sie Nährstoffe binden, Sediment-Resuspension verhindern und die Partikel-Sedimentation begünstigen. Auch sind sie so niedrigwüchsig, dass sie im Vergleich zu anderen Unterwasserpflanzen auch bei starkem Wachstum zu keinen Konflikten bei der Freizeitnutzung wie Baden oder Bootfahren führen.

Schichtung
Seen in gemäßigten Zonen unterliegen starken saisonalen Zyklen, die grundlegend durch die physikalischen Eigenschaften des Wassers gesteuert werden: Im Sommer schichtet sich von der Sonne erwärmtes Oberflächenwasser über dem dauerhaft kalten Tiefenwasser ein. Das liegt an den temperaturbedingten, großen Dichteunterschieden des Wassers. Bei 4 °C hat es seine größte Dichte und sinkt somit in die Tiefe. Wärmeres Wasser bleibt an der Oberfläche. Im Herbst, wenn sich die Temperatur durch Abkühlung an der Oberfläche im ganzen See angleicht, reicht die durch den Wind eingetragene Energie, um die oberen und unteren Wassermassen vollständig zu vermischen. Sauerstoff und Nährstoffe werden gleichmäßig im gesamten Wasserkörper verteilt. Somit stehen sie während der Schichtungsphase im nächsten Sommer wieder für die Produktion und den Abbau von Biomasse zur Verfügung.

Eutrophierung
Sind zu viele Nährstoffe in einem Gewässer vorhanden, spricht man von Eutrophierung. Sie kann zu (giftigen) Algenblüten führen, welche zum Beispiel die Trinkwassergewinnung gefährden. Die Ursachen sind in den meisten Fällen menschengemacht: durch häusliche, industrielle und landwirtschaftliche Einträge. Der Stechlin zählt bislang zu den nährstoffarmen Gewässern.

 

 

Selected publications
Ansprechpersonen

Sabine Hilt

Forschungsgruppenleiter*in
Forschungsgruppe
Aquatisch-terrestrische Kopplung und Regimewechsel

Michael Hupfer

Forschungsgruppenleiter*in
Forschungsgruppe
Biogeochemische Prozesse in Sedimenten und Seenrestaurierung

Mark Gessner

Abteilungsleiter*in
Forschungsgruppe
Ökosystemprozesse