„Wasserkraft ist zwar erneuerbar, aber nicht unbedingt umweltfreundlich“, unterstreicht Dr. Martin Pusch, Wissenschaftler am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), der das institutionsübergreifende Memorandum der Fachwissenschaftler*innen koordiniert hat.
Kleinwasserkraftanlagen mit negativer Umweltbilanz – Rückbau würde wichtige Ökosystemleistungen zurückbringen
„Grundsätzlich beeinträchtigen alle Wasserkraftwerke den ökologischen Zustand der genutzten Bäche und Flüsse erheblich. Extrem ist dies jedoch bei der Kleinwasserkraft der Fall: Hier steht der geringe gesellschaftliche Nutzen durch wenig Stromerzeugung den hohen ökologischen Kosten durch massive Umweltschäden gegenüber. Die Umweltbilanz von Kleinwasserkraftwerken ist daher eindeutig stark negativ“, erläutert Martin Pusch.
Die Wissenschaftler*innen aus den 30 verschiedenen Forschungsorganisationen kommen daher zu dem einhelligen Schluss, dass die öffentliche Unterstützung von Kleinwasserkraftanlagen über Umlagen oder Förderungen umweltschädlich, im Sinne der Energiewende ineffizient und makroökonomisch unwirtschaftlich sei. Die über 7.800 Kleinwasserkraftwerke in Deutschland mit unter 1 Megawatt Maximalleistung hätten 2020 weniger als 0,5 Prozent zur deutschen Stromproduktion beigetragen, sie seien daher für Klimaschutz und Energiewende unbedeutend. Durch ihre hohe Zahl belasteten sie den ökologischen Zustand von etwa einem Drittel der deutschen Fließgewässer jedoch gravierend. Gefördert werden sollten stattdessen Stilllegung und Rückbau dieser Kleinwasserkraftanlagen. Wichtige Ökosystemleistungen der Gewässer für Umwelt und Gesellschaft wie zum Beispiel natürlicher Hochwasserschutz, stabiler Landschaftswasserhaushalt, Selbstreinigung, Kühlwirkung und wassergebundene Naherholung könnten so wiederhergestellt werden. Dies sei insbesondere im Hinblick auf die zu erwartenden Folgen des Klimawandels von hoher Bedeutung und stärke die natürliche Widerstandskraft der Gewässer.
Förderung großer Wasserkraftanlagen sollte von verbindlicher Einhaltung ökologischer Standards abhängen
Laut der Forscher*innen haben alle rund 8.300 Wasserkraftwerke in Deutschland 2020 nur 3,3 Prozent zur gesamten deutschen und nur 8 Prozent zur regenerativen Stromproduktion beigetragen. Zudem könne auch bei großen Wasserkraftwerken weder verhindert noch kompensiert werden, dass auch weit flussaufwärts und flussabwärts des Staudamms ökologisch wertvoller Flusslebensraum verloren gehe. Der künstliche Aufstau führe zur Erwärmung, Algenentwicklung sowie Schlammbildung und halte gröberes Flusssediment zurück. Dieses Sediment fehle dann flussabwärts, das fördere auch die Tiefenerosion langer Bach- und Flussabschnitte. Außerdem emittierten aufgestaute Gewässer infolge der Verschlammung erhebliche Mengen des besonders klimaschädlichen Gases Methan.
Sollte die Politik größere Wasserkraftwerke über 1 Megawatt Maximalleistung trotz der bestehenden Problematiken weiter aus Steuermitteln, Umlagen oder ähnlichen Modellen fördern wollen, müsse bei allen Anlagen jeweils überprüft werden, ob diese nicht wichtigen gesetzlichen Naturschutzzielen von nationaler und europäischer Bedeutung entgegenstünden. Ebenso müssten bereits bestehende, gesetzliche Umweltstandards wie ökologische Durchgängigkeit und angemessene Mindestwasserführung konsequent und verbindlich eingehalten werden, schlussfolgern die Fachwissenschaftler*innen. Dies gelte insbesondere auch für ältere Anlagen mit langjährigen Genehmigungen.
Wanderfische durch die Wasserkraft besonders bedroht – regionales Aussterben möglich
Durch die Wasserkraft und ihre Folgen besonders gefährdet seien Fische, vor allem ökologische „Schirmarten“ wie Aal, Lachs, Huchen, Maifisch, Meerforelle, Schnäpel oder Stör. Die im Rahmen ihrer Lebenszyklen wandernden Fischarten könnten die Wehre und Staudämme von Wasserkraftanlagen häufig nicht überwinden, weil geeignete und ausreichend groß dimensionierte Wanderhilfen für den Fischauf- und -abstieg fehlten. Zudem erlitten viele Fische bei der Abwanderung wegen unzureichender Schutzeinrichtungen an den Turbinen der Wasserkraftwerke schwere äußere und innere Verletzungen, oft mit Todesfolge. Die Unerreichbarkeit wichtiger Lebensräume und die hohe Tötungsrate könnten so auch zu ihrem regionalen Aussterben führen. „Öffentlich geförderte und auch ehrenamtlich getragene Wiederansiedlungsbemühungen und Schutzprogramme für vom Aussterben bedrohte Arten werden so konterkariert“, folgert Martin Pusch. Die genannten Wanderfischarten stünden laut der Autor*innen stellvertretend für die Lebensraumbedarfe der reichen Flora und Fauna der Binnengewässer und Flussauen. Diese Lebensräume seien zwar Hotspots der Biodiversität, jedoch bereits sehr intensiv genutzt und dadurch stark bedroht. „Daher sind viele im Wasser lebende Tier- und Pflanzenarten von der Wasserkraftnutzung betroffen, die im Gegensatz zu vielen terrestrischen ihren aktuellen Lebensraum nicht verlassen und so Gefahren kaum ausweichen können“, betont Martin Pusch. Daher sei eine Harmonisierung der Gesetzgebung im Falle der Wasserkraft insgesamt besonders drängend.