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Alle Flüsse enden im Meer

Interview mit Prof. Klement Tockner
Das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) gehört heute zu den weltweit führenden Einrichtungen in der Umweltforschung. Der Bau des Seelabors, die Projekte Verlust der Nacht, Wiederansiedlung des Störs oder Tomatenfisch entstanden hier. Großen Anteil daran hatte IGB-Direktor Prof. Klement Tockner, dessen Arbeit in Berlin nun endet. Er wird neuer Präsident des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF. Im Gespräch mit dem Verbundjournal zieht Tockner Bilanz.

Prof. Klement Tockner | Foto: IGB/Andy Küchenmeister

Herr Prof. Tockner, das Bundesforschungsministerium hat das neue Wissenschaftsjahr 2016/17 den Themen Meere und Ozeane gewidmet. Dort ist fast der gesamte Wasservorrat der Erde enthalten. Auf Seen und Flüsse entfallen nur 0,4 Prozent. Warum sind sie dennoch so wichtig?

Fast alle Flüsse enden letztlich in den Meeren und mit ihnen gewaltige Frachten an Sedimenten, Nährstoffen aber besonders auch an Schadstoffen. Auch der boomende Staudammbau hat massive Auswirkungen auf die ökologisch so wichtigen Küstenbereiche. So erhalten Deltagebiete mit ihren teils reichen Mangrovenwäldern plötzlich keinen Nachschub an Sedimenten mehr. Zudem wandern viele Organismen zwischen Meer und Binnengewässern hin und her. Klassisches Beispiel dafür sind die Störe, die wir seit vielen Jahren versuchen, in Deutschlands Küsten und Flüssen wieder anzusiedeln. Man muss einerseits die Lebensräume Meer und Land gemeinsam betrachten, andererseits zählen insbesondere unsere Flüsse und Seen zu den ökologisch wertvollsten Systemen.

Die Menschheit hat Energiehunger und hofft auf saubere Wasserkraft. Welche Schäden entstehen denn genau durch den Staudammbau?

Staudämme unterbrechen die Wanderrouten für Fische und halten die Sedimente zurück, die notwendig sind, um die Flussdeltagebiete zu erhalten. Weltweit sehen wir bereits jetzt den Kollaps dieser für die Natur und den Menschen so wertvollen Ökosysteme. So sind intakte Deltas und Mangrovenwälder die Kinderstube für viele Fischarten und andere Meeresbewohner. Rückhalt von Sedimenten und Nährstoffen, Anstieg des Meeresspiegels und Absinken der Deltaregionen führen weltweit zu einem zunehmenden Kollaps dieser Systeme.

Die Weltmeere sind stark überfischt. Ist es möglich, dort eine Entlastung durch Fischzucht an Land einzuleiten?

Aquakultur ist der am stärksten wachsende Bereich in der Lebensmittel produzierenden Industrie. Fische spielen bei der Eiweißversorgung der Bevölkerung, beispielsweise in Afrika, eine ganz zentrale Rolle. Hierbei ist es entscheidend, dass Aquakulturanlagen ressourceneffizient und nachhaltig betrieben werden. Am IGB arbeiten wir an geschlossenen Systemen, die wenig Platzbedarf haben und zugleich unsere Umwelt schonen. 

Schmackhafte Speisefische mit wenigen Gräten benötigen zur Fütterung meistens Fischeiweiß aus Abfällen. Das ist aber auch nicht beliebig steigerbar. Wann kommen die vegetarischen Zuchtfische?

Der Futterbedarf in der Aquakultur ist ein großes Thema. Es gibt durchaus Fische, die mit Pflanzen gefüttert werden können wie etwa die zu den Buntbarschen gehörenden Tilapien, die Allesfresser sind. Das ist ein sehr beliebter und zugleich robuster Zuchtfisch. Alternativ müssen wir Proteinquellen wie Insekten für die Fischzucht erschließen. Am IGB arbeiten wir gerade an einem Projekt, um Bioabfälle durch Insekten umwandeln zu lassen. Diese Proteinmasse ist als Futter in Aquakulturen gut geeignet. Und wir haben zwei positive Effekte: Eine Reduktion an organischen Abfällen und die Gewinnung von wertvollen Proteinen.

Es wird oft von der Verantwortung des Wissenschaftlers für die Allgemeinheit gesprochen. Wie sieht es denn umgekehrt mit der Verantwortung der Gesellschaft für die Wissenschaft aus?

Öffentlich finanziertes Wissen stellt ein Gemeingut dar. Diese Gut muss bereitgestellt und genutzt werden. Gerade hat das IGB gemeinsam mit dem Geoforschungszentrum in Potsdam und italienischen Kollegen den neuen Atlas zur globalen Lichtverschmutzung veröffentlicht. Die wenigsten Kinder in Deutschland haben doch das funkelnde Sternenband unserer Milchstraße jemals mit eigenen Augen sehen können. Neben den ökologischen und gesundheitlich negativen Folgen sehen wir somit auch immense kulturelle Auswirkungen. Die Daten für den Atlas wurden weltweit erhoben; rund 20 Prozent der Messungen stammen von Bürgerwissenschaftlern. Den Dialog mit den Bürgern führen wir etwa auch zur Sulfatbelastung der Spree. Unabhängige und objektive Untersuchungen sind für politische Entscheidungen ganz wesentlich, die ja auch große ökonomische Auswirkungen haben können. Etwa, ob ein Wasserwerk schließen muss, das eine Million Menschen mit Trinkwasser versorgt. Unabhängige Wissenschaft ist daher wichtiger denn je.

In letzter Zeit wird viel über die Flut an Plastiktüten und Verpackungsmaterial diskutiert. In den Weltmeeren zirkulieren unfassbar große Plastikmengen. Ist dieses Problem noch in den Griff zu bekommen?

Dieser Kunststoff kommt zu einem großen Teil über die Flüsse in die Weltmeere. Plastik baut sich sehr schlecht ab und bleibt für lange Zeit in der Umwelt. Hier brauchen wir radikale politische Beschlüsse, um diesen Wahnsinn zu stoppen. Es war extrem wichtig, die Problematik in die Öffentlichkeit zu tragen, damit es eine Sensibilisierung gibt. Jeder einzelne ist gefordert, das durch ganz simple Maßnahmen zu verändern: Benutzen Sie eine Baumwolltasche für Einkäufe, die hält länger und ist biologisch abbaubar. Auch die Industrie muss umdenken. Fast jede Zahnpasta und Sonnencreme enthält beträchtliche Mengen an Mikroplastik. Plastik steckt unsichtbar in vielen Produkten. Die tatsächlichen Gesamtkosten eines Produktes für die Umwelt und die Gesellschaft müssen unbedingt berücksichtigt werden.

Herr Prof. Tockner, sie haben seit 2007 das IGB geleitet. Welches waren herausragende Projekte?

Es ist mir gemeinsam mit den Mitarbeitern des IGB in dieser Zeit gelungen, das Institut zu öffnen, international aufzustellen und wissenschaftlich hervorragend zu positionieren. Hierfür wurde eine Kultur etabliert, die die Kreativität der Mitarbeiter unterstützt und sie vieles ausprobieren lässt. Das große Vertrauen in und die Freiräume für unsere Wissenschaftler sind für mich zentrale Elemente. Jeder, der etwas erreichen will, wird unterstützt. In vielen Forschungsbereichen hat das IGB die Federführung übernommen, durch die damit verbundene Verantwortung entsteht auch ein nötiges, gesundes  Selbstbewusstsein. Mit Projekten wie Verlust der Nacht, Forschung zur Schwarmintelligenz oder zur Biodiversität der Binnengewässer sind große national oder international sichtbare Projekte und Programme entstanden. Wir haben andere Wissenschaftler begeistert und mitgenommen auf unserem Weg, der sich in erster Linie auf Exzellenz ausrichtet. Mir ist nicht die Masse an Publikationen wichtig, was zählt ist allein die Qualität der Arbeit.

In Berlin hinterlassen Sie ein hervorragendes Institut. In Kürze starten sie als neuer Präsident des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF. Was haben Sie sich für unser Nachbarland vorgenommen?

Österreich will zu einer führenden Wissenschaftsnation werden und muss daher konsequent die notwendigen Schritte gehen. Ohne eine starke Förderung der Grundlagenforschung sind die gesetzten Ziele aber nicht zu erreichen. Daher muss der Wissenschaftsfonds ideell und finanziell massiv gestärkt werden.

Erfahrungsgemäß sind die Politiker immer zögerlich, wenn es ans Geldverteilen geht. Ist man in Österreich dazu wirklich bereit?

Die Erkenntnis, der Wille ist auf allen Ebenen vorhanden. Wir müssen die wichtige Rolle der Grundlagenforschung für die Gesellschaft noch besser kommunizieren – gegenüber der Politik, aber vor allem auch gegenüber der Öffentlichkeit. Der Wissenschaftsfonds FWF hat den Anspruch, Grundlagenforschung nach höchsten Qualitätsansprüchen zu unterstützen. Die „Kunden“ sind die österreichischen Universitäten und nichtuniversitären Forschungseinrichtungen. Ein erhebliches Problem ist die Zersplitterung der Forschungs- und der Förderlandschaft. Es gibt zu viele und kleinteilige Förderorganisationen, die zudem nicht optimal koordiniert sind. Als neuer FWF-Präsident möchte ich dazu beitragen, dass alle an einem Strang ziehen und in eine gemeinsame Richtung gehen. Österreich kann ähnlich wie die Schweiz, Dänemark oder Schweden zu einem der führenden Innovationsstandorte in Europa und auch weltweit werden. Das Potenzial ist da, es gibt großartige Institutionen und exzellente Leute, hinzu kommt die ausgezeichnete Lebensqualität. Es liegt somit eigentlich alles vorbereitet auf dem Tisch, es muss nur noch „gekocht“ werden. Zudem steht die Weltbevölkerung vor unglaublich komplexen Herausforderungen, denen wir uns gemeinsam stellen müssen. Eine evidenzbasierte, unabhängige Wissenschaft ist hierfür unabdingbar.

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