Frau Adrian, welchen Umweltveränderungen sind Seen heute ausgesetzt?
Rita Adrian: Seen werden besonders stark durch Klimaerwärmung und Stoffeinträge aus dem Einzugsgebiet beeinflusst. Beide Einflüsse agieren parallel und verstärken die Gefahr der Eutrophierung von Seen – einer übermäßigen Nährstoffanreicherung, die das Ökosystem des Sees aus dem Gleichgewicht bringt.
Wie?
Durch steigende Lufttemperaturen erhöhen sich auch die Wassertemperaturen. Im globalen Mittel betrug der Temperaturanstieg des Oberflächenwassers von Seen seit 1985 im Sommer 0,32°C pro Dekade. Der Erwärmungstrend des Berliner Müggelsees, einem flachen See, betrug seit 1976 sogar 0,54°C pro Dekade. Damit haben wir die im Pariser Klimaabkommen 2015 beschlossene Obergrenze in Seen bereits überschritten.
Was bedeutet der Temperaturanstieg für Seen, wie reagieren sie darauf?
Die thermische Struktur verändert sich. Wir konnten beobachten, dass die Dauer der thermischen Schichtung von Seen im Sommer zugenommen hat. Eine Verlängerung in der thermischen Schichtungsdauer führt in produktiven Seen wie z.B. dem Berliner Müggelsee zu einer Zunahme sauerstofffreier Bedingungen im Tiefenwasser, und nachfolgend zu einer Freisetzung von zuvor im Sediment gebundenen Nährstoffen wie dem Phosphor. Diese klimainduzierte interne Düngung von Seen befördert die Eutrophierung von Seen und somit die Entwicklung von Cyanophyceenblüten. Cyanophyceen sind optimal angepasst an hohe Temperaturen, stabile thermische Schichtung und hohe Nährstoffkonzentration – alle drei Variablen verändern sich mit dem Klimawandel zum Vorteil dieser Kleinstlebewesen. Weitere prominente Veränderungen in Ökosystemen im Kontext des globalen Klimawandels sind Veränderungen in der Phänologie – dem Zeitpunkt deutlich abgegrenzter saisonaler Ereignisse. Hier sehen wir drastische Veränderungen: Der Eisbruch beginnt eher, was verbesserte Lichtbedingungen mit sich bringt. In der Folge setzt die Algenentwicklung im Frühjahr früher ein: im Mittel um fast einen Monat in Seen der nordtemperierten Zone.
Und wie lautet Ihre Prognose für die Zukunft unserer Seen?
Es scheint sicher zu sein, dass Seen im Zuge des Klimawandels wärmer und sauerstoffärmer werden und sich die thermischen Strukturen dauerhaft ändern werden. Zudem dürften sich Seeökosysteme zum Teil abrupt ändern, nachdem kritische Grenzen – sogenannte Kipppunkte – überschritten werden.
Sind derartige abrupte Veränderungen vorhersagbar?
Leider nein. Wir haben bekannte abrupte Veränderungen in europäischen und amerikanischen Seen auf Frühwarnsignale geprüft. Das sind generische statistische Veränderungen in einer Zeitreihe, die theoretisch sprunghafte Veränderungen ankündigen. Die zugrunde liegenden Mechanismen der abrupten Veränderungen der getesteten Seen sind auf der Grundlage 30- bis 40-jähriger empirischer Zeitreihen sehr gut bekannt. Wir haben vier solcher Signale getestet und konnten feststellen, dass sie keine sicheren Frühwarnsignale sind, um abrupte Veränderungen vorhersagen zu können. Mehr zum Thema >
Mit welchen Themen wird sich Ihre Gruppe künftig beschäftigen?
Wir werden unsere Klimafolgenforschung weiterführen. Biodiversität, die Stoffumsätze von Seen, die Rolle zeitlicher Skalen, Auswirkungen von Extremereignissen werden Schwerpunkte sein. Etwas konkreter beschäftigen wir uns mit folgenden Fragen: Wie entsteht Biodiversität und wie bleibt sie erhalten? Auf welcher zeitlichen Skala müssen wir schauen, um die Dynamik von Seen zu verstehen? Verpassen wir zentrale Mechanismen, wenn wir nur monatlich oder wöchentlich messen? Globale Netzwerke wie GLEON oder NetLake, in denen Daten in hoher zeitlicher Auflösung in Seen weltweit gemessen werden, erlauben uns inzwischen einen globalen Blickwinkel. Hier finden intensiver Datenaustausch und engagierte Kooperation statt. Das Datenmanagement und die Entwicklung globaler Datenportale werden an Bedeutung gewinnen, um die Sichtbarkeit und Zugänglichkeit von Daten zu verbessern. Wichtig bleibt für unsere Gruppe auch, unsere Erkenntnisse politisch zu platzieren. Unsere Arbeiten fließen z.B. in die IPCC-Berichte ein (Intergovernmental Panel on Climate Change ~ Weltklimarat). Das IGB hat in der globalen Klimaforschung eine Stimme, und die wollen wir weiterhin nutzen.
Das Gespräch führte Wiebke Peters.